Europe Central
letzte Reihe, gähnten und rieben die himbeerroten Stiefel aneinander. Dann sagten wir den Kritikern, was sie über diese Judenlieder zu schreiben hatten (die ihm so kläglich und antik vorkamen wie Kirows Beerdigung im Taurischen Palais, so lange, fast ein Jahrzehnt, waren sie nun unterdrückt worden), und das schrieben sie dann. Aber das Publikum applaudierte ihm. Erschöpft vom Flankenangriff eines weiteren Alptraums, verbeugte er sich immer wieder und griff sich an die Kehle,
als hätte er sich die Krawatte zu eng geschnürt. Dann setzte er sich in dem Zimmer, das sie auf ihren Namen im Sowjetskaja Hotel genommen hatte, auf die Bettkante; wir sehen ihn durch die Vorhänge furchtsam hinabblicken auf die wenigen, klotzigen dunklen Autos auf den vom Schneematsch glänzenden Straßen; hier kam eine leuchtend rote Straßenbahn; dort hing ein roter Wimpel an der Fassade eines Ministeriums; und nun wieder ein Moskauer Sonnenuntergang, adagio. Bald wäre sie da, wenn die Stockwerksdame nicht, sozusagen, nun, die Stockwerksdame machte ihm wirklich Sorgen. (Ach, mein lieber Freund, diese Stockwerksdamen überwachen jedes Zimmer und jeden Fahrstuhl. Mit der Wachsamkeit von Genossinnen, versteht sich. Lautlos und wachsam; ob Jung oder Alt, sie sind immer im Dienst; du kannst deinen Schlüssel noch so leise im Schloss drehen, die Tür öffnen und in den Flur treten, es wird dich eine im Auge behalten und sich davon überzeugen, dass du du selber bist. Natürlich sind sie dabei Slawen wie wir; außerdem sind es Frauen, also haben sie manchmal, wie soll ich sagen, Verständnis für alles.) Jetzt hatte sie sich verspätet. Wenn er die Augen schloss, konnte er sie in ihrem dunklen Mantel und den dunklen Schuhen sehen, wie sie die ausgetretenen Stufen des Leningrader Konservatoriums hinaufschritt. Hatte sie es sich anders überlegt? Die Nacht war so schwarz wie die Uniform eines-Mannes.
Weißt du, Galischa, ich würde das nie sagen, wenn ich nicht – dieser Wodka ist ganz schön – aber dein Gesicht, du erinnerst mich an …
Ich würde sie so gern zum Teufel schicken, sagte sie rundheraus.
Woher hast du das gewusst?
Einmal hast du im Schlaf ihren Namen gesagt. Deshalb werde ich dich nie heiraten.
Du bist immer so zornig! Und ich, ich …
Aber die Ustwolskaja war schon fortgelaufen und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen.
Er rief T. P. Nikolajewa an und bestellte sie zu sich in das Hotelzimmer, um den Rest des Wodkas auszutrinken. – Ja, Mitja, ich komme, aber ich kann nicht …
Keine Angst; keine Angst. Ich will nichts von dir.
Zwei Stunden später war sie ganz eilig da, einen Packen herrlich fettiger Würste unter dem Arm, und ihm wurde klar, dass sie seinetwegen
besorgt gewesen war, dass er nicht etwa … Er zündete sich eine Zigarette an und sagte: Tatjana, manchmal habe ich das Gefühl, dass ich, nun ja, ich bin kein Dichter wie, zum Beispiel, Blok, aber denkst du jemals, dass da irgendwo im Herzen der Dinge eine Frau sitzt, sagen wir, eine Göttin, oder nimmt eine Frau dasselbe Ding als männliches Prinzip wahr?
Du sprichst von deiner Musik.
Ja, irgendwie schon, obwohl ich …
Wenn man sich einer Sache tief genug widmet, wird man sie wohl immer personalisieren.
Ich wusste, du würdest mich verstehen! Einer Idee treu sein, das ist wie einer Frau treu sein. Ich habe meine Musik noch nie betrogen, noch nicht. Ich habe Sachen geschrieben, die Kasse machen, oh ja, für Filme und was weiß ich. Sogar die Achmatowa mit ihrem ganzen majestätischen Stolz musste diesem Schwein am Ende in den Arsch kriechen, weil sie …
Mitja, bitte sieh dich vor!
Keine Angst; so lange das Radio die jüngste Missgeburt von Chrennikow herauströtet, können sie uns nicht hören. Musik schenkt einem wirklich einen Blick in die Seele des Komponisten, findest du nicht? Wenn mir dieser, äh, dieser musikalische Scheißhaufen begegnet, dann, dann tut mir Chrennikow nicht einmal leid. Habe ich dir erzählt, dass er an der Filmfront noch immer versucht, mich zu verhindern? Diese Bulldogge, dieser Parteisoldat!
Manchmal bist du wie ein Kind …
Vergib mir, vergib mir! Aber um auf die Achmatowa zurückzukommen, der zentrale Punkt ist, dass sie beschloss, ihren Sohn zu retten, anstatt ihre Reinheit zu bewahren, und in meinen Augen hat sie, hat sie … Weißt du noch, wie sie ihren ersten Mann erschossen haben?
Da war ich noch nicht geboren.
Entschuldige, meine süße kleine Tatjanotschka, manchmal vergesse ich, wie die Zeit
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