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wahrlich vollendet, womit gesagt sein soll: eine Note vor und zehn Noten zurück, alles besser und freudvoller; und so standen seine Feinde mitten in seiner Wohnung (Moschaiskoje schosse Nr. 87, 37-45) und grinsten wie Krokodile, als er sich an das setzte, was er den anderen Flügel nannte, die Oper aus dem Gedächtnis spielte und bei sich dachte: Wer da Ohren hat, wird hören.
Anschließend bemerkte der Genosse Kabalewski: Trotz einiger hübscher Passagen, und ich möchte Sie als Musiker gewiss nicht herabwür
digen, mein lieber Mitja, handelt es sich immer noch um die Apologie einer liederlichen Mörderin!
Auch der Genosse Luria war zugegen und verbreitete einen brenzligen Geruch. Er strich sich den Bart und gab sich damit zufrieden, uns alle daran zu erinnern, wie sogar der Emigrant Martynow Schostakowitschs Opus als Warnung vor schädlicher Abweichung zusammengefasst hatte.
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Ja, gewiss, meine lieben Freunde, denn ich selbst bin nichts als ein, Sie wissen schon.
Und Sie beabsichtigen ernsthaft, einen ganzen Zyklus dieser sogenannten »feministischen Opern« zu schreiben, Dimitri Dimitrijewitsch?
Ich fürchte ja, flüsterte er triumphierend. Wenn man, äh, im alten China kleine Jungen kauft, dann sind sie kleine Hände ; kleine Mädchen sind bloß Kokons. Und das lässt mich …
Der Genosse Chubow versetzte ihm den dritten Dolchstich und sagte: Das eigentliche Problem ist, dass der »Chaos statt Musik«-Artikel aus der Prawda nie zurückgezogen worden ist. Also gilt er weiter.
Wütend herrschte Glikmann sie an: Aber Stalin ist tot !
Das mag wohl sein, Isaak Dawidowitsch. Aber schließlich und endlich bleibt der Genosse Stalin doch ein Genie. Er war damals der Vorsitzende der Partei. Und man stellt sich einfach nicht gegen die Partei. Meinen Sie nicht auch, Mitja?
Korrekt, korrekt, korrekt!, krähte Schostakowitsch mit zitternder Stimme. Das ist nur eine Frage der – ich meine, offensichtlich bin ich daran gescheitert, meine uralten Fehler zu berichtigen!
Ah. Nun, ich freue mich, dass Sie so einsichtig sind. Bleiben Sie auf Linie, Mitja, dann wollen wir tun, was wir können. Noch zehn Jahre, dann ist die Zeit vielleicht gekommen. Was Sie angeht, Isaak Dawidowitsch, unter Kollegen gesagt, wenn auch nicht ganz unter Freunden, ich rate Ihnen, sehr, sehr vorsichtig zu sein. Natürlich bleibt alles hier Gesagte unter uns. Aber merken Sie denn nicht, dass Ihr irregeleiteter Gegenangriff Mitja am Ende schaden könnte?
Keine Angst, keine Angst, flüsterte Schostakowitsch. Ich möchte mich bei Ihnen allen für ihre hilfreichen Einwände bedanken …
Nehmen Sie es sich nicht so sehr zu Herzen, Mitja! Noch nennt Sie niemand einen Volksfeind! Beruhigen Sie sich einfach und vergessen wir nicht, dass wir nur das Beste für Sie …
Dafür Dank, Genosse Chubow. Danke, danke!
Und nun eine Fachfrage. Keine Sorge, Genosse Alexandrow, sie ist nicht zu abgehoben. Was ich gerne wüsste, Mitja, ist dies: Welche Tonart hat diese Oper?
Nun, ich …
Sie müssen wissen, dass wir uns heute Vormittag Ihre Musik zu »Der Fall von Berlin« angehört haben. Der Film ist heute natürlich teilweise veraltet, aber meiner Meinung nach ist das Ihre beste Arbeit.
Danke, danke!
Die Amerikaner würden so etwas feel-good music nennen, wenn Sie mir folgen können, Mitja. Sie schickt uns mit einem Lied auf den Lippen in die Welt hinaus! Worauf es ankommt: Wir beginnen in einer Dur-Tonart, dann, nach einem dramatischen Kampf, in dessen Verlauf wir unseren Sieg über den internationalen Faschismus erringen, kehren wir zur Tonika zurück, der harmonischen Basis. Wir sind zur gleichen Dur-Tonart zurückgekehrt und folgen der korrekten Linie. Um welche Tonart hat es sich noch gleich gehandelt?
Also, ich …
Egal. Sie haben das Konzept der Tonika ganz offensichtlich verstanden, Mitja, und in diesem Fall setzen Sie es fast so erfolgreich um wie Blanter oder sogar Chrennikow.
(Schostakowitsch duckte sich, zeigte lächelnd seine Dankbarkeit und spielte dabei so panisch mit den Fingern wie Scarlatti.)
Leider mangelt es Ihrer Oper hier an einer Tonika. Sie ist vom Weg abgekommen. Sie wagt sich hinter die feindlichen Linien vor und lässt sich den Rückweg abschneiden.
Genosse Kabalewski, Sie haben den, den, wie soll ich sagen, Kernfehler meiner Laufbahn entlarvt. Ich bin nur ein … Vom Weg abgekommen, das trifft es genau. Sie haben mich nicht nur entlarvt, Sie haben den vor uns liegenden Weg mit einem Suchscheinwerfer ausgeleuchtet.
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