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psychologischen Standpunkt aus mitschuldig ist. Prinzipiell sagt von Franz: Wenn wir unsere bösen Anteile unterdrücken, kommen sie auf andere Weise wieder zum Vorschein. Indem ich solche Ansichten anderen Figuren in den Mund lege, möchte ich unser Verständnis für das vertiefen, was Gersteins Biograf »die Zwiespältigkeit des Guten« genannt hat. Gleichzeitig glaube ich, dass an Gersteins Gutem nichts Zwiespältiges war, so erfolglos es auch blieb. Er ist einer meiner Helden.
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Hans Günther: »Wir haben es hier mit einer streng geheimen Angelegenheit zu tun, der allergeheimsten vielleicht …« – frei nach Nora Levin, The Holocaust: The Destruction of European Jewry 1933-1945 ; Schocken, New York 1973; S. 311. In seiner schriftlichen Erklärung, die vermutlich genauer ist, schreibt Gerstein diese Worte nicht Günther, sondern SS -Gruppenführer Odilo Globocnik zu; siehe Saul Friedländer: Kurt Gerstein oder die Zwiespältigkeit des Guten ; Bertelsmann Sachbuchverlag, Gütersloh 1968; S. 96. Aus erzählerischen Gründen habe ich Levins Version benutzt.
Für eine ungekürzte Fassung von Gersteins schriftlicher Erklärung (»Gersteinbericht«) siehe Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst: Dokumentation zur Massen-Vergasung ; Bonn 1955; S. 7-16 (Zeugenaussage vom 4. Mai 1945).
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Gersteins Reise nach Belzec – In Wahrheit sind Günther, Pfannenstiel und er mit dem Lastwagen gefahren. Da reine Faktentreue es unmöglich gemacht hätte, Berthas Doppelgängerin einzuführen, habe ich ihn in einen Zug gesetzt.
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SS -Gruppenführer Odilo Globocnik: »Also, in Belzec werden Sie zwei Aufgaben haben …« – frei nach Friedländer, S. 96.
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Dr. Pfannenstiel: »Die ganze Angelegenheit ist hygienisch nicht einwandfrei.« – Eng angelehnt an Klee, Dressen, Riess, S. 221.
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Hauptsturmführer Wirth zu Gerstein: »Es gibt keine zehn lebenden Menschen …« – frei nach Friedländer, S. 100.
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Gerstein zum schwedischen Attaché: »Die Menschen stehen einander auf den Füßen … man hört sie weinen, schluchzen …« – aus dem Gersteinbericht vom 4. Mai 1945 (vermutlich vor den Amerikanern abgegeben); in Klee, Dressen, Riess, S. 219. Bei Friedländer wird die Aussage in der Vergangenheitsform wiedergegeben.
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Kapazität von Belzec und anderen Lagern – nach Gersteins Schätzung von 1945, wie zitiert bei Friedländer, S. 96. Nach den heute gültigen Statistiken der Zahlen der Holocaustopfer sind Gersteins Zahlen viel zu hoch. Nach seiner Zahl für Sobibor hätte sich der jährliche »Ausstoß« dieses Lagers auf 7 000 000 Opfer belaufen. Einer der Mörder schätzt dagegen, dass dort 350 000 Juden ums Leben gebracht wurden und das Lager damit »an letzter Stelle« rangierte. (Erich Bauer, der »Gasmeister«, nach Klee, Dressen, Riess, S. 221.) Der Kommandant von Auschwitz stellt fest: »… die höchste Zahl an Vergasungen in Auschwitz an einem Tag betrug 10 000. Das war das Äußerste, das an einem Tag mit den vorhandenen Anlagen durchzuführen war.« (Ebd., S. 245) Dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in Oświęcim zufolge »waren von den zirka 50 Millionen Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges umkamen, etwa 20 Millionen Opfer der beispiellosen Vernichtungspolitik des Dritten Reiches« (Franciszek Piper: »The Political and Racist Principles of the Nazi Policy of Extermination and Their Realization in Auschwitz«, S. 11). Um Gersteins Denkprozesse besser einschätzen und abbilden zu können, habe ich seine Zahlen stehenlassen. Von Majdanek schreibt Gerstein nur, er habe es »in Vorbereitung« gesehen, also habe ich mich zur Quantifizierung der »Produktivität« dieses Lagers auf die Darstellung von Alexander Werth aus dem Jahr 1944 verlassen (op. cit., S. 890-94), die auch das grausige Detail über den Kohlanbau einschließt. Werth war offenbar der erste zugelassene westliche Journalist, der das Lager gesehen hat.
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»Wie viele Juden in Europa lagen noch nicht unter der Erde?« – Die Protokolle der Wannseekonferenz setzen den »Herrn Unterstaatssekretär Luther« in Kenntnis, dass sich im Altreich noch 131 800 Juden befänden, in der Ostmark 43 700, im Generalgouvernement, dem ehemaligen Polen, 2 284 000, in der UdSSR etwa 5 000 000; insgesamt ergab sich die Summe von über 11 000 000« – Peter Longerich: Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942: Planung und Beginn des Genozids an den europäischen Juden ;
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