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von der Achmatowa mit ihrer Doppelzüngigkeit geschützt wird; mit anderen Worten: Diese dunkelhaarige Frau ist noch immer in Freiheit; wir haben sie noch nicht gefasst. Spätnachts, wenn ich nicht schlafen kann, gehe ich das Poem wieder durch; ich kenne es fast auswendig, was nicht ohne Ironie ist, denn ein Gutteil der »Politischen«, die ich in den Gulag geschickt habe, zitieren daraus; in meinem Privatmuseum habe ich ein beinahe vollständiges, aus dem Gedächtnis auf Birkenrinde geschriebenes Exemplar. Ich gebe gern zu, dass es da ein paar schöne Formulierungen gibt.
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Am 11. Dezember 1920 war unsere Geduld am Ende, also führten wir dem Volk den schwärenden Eskapismus der Achmatowa vor Augen. Diese Erfahrung wurde zu einer weiteren Perle in ihrer Austernschale! Bitterkeit und Träumereien zum Thema Bitterkeit wurden in ihren Gedichten eins, wie die konzentrischen Ovale gewölbter Brücken und ihres Widerscheins auf dem Winterkanal. Nicht lange darauf sah ich sie in Bloks Leichenzug beten und weinen; die Tränen wurden zu neuen Perlen an ihrer Halskette aus Gram. In unserem Sowjetrussland von heute, dessen Kunst positiv und lebensbejahend zu sein hat, ist für diese Art Mensch einfach kein Platz.
Als wir Gumiljow anno 21 liquidierten, wegen antisowjetischen Verschwörertums, platschte ein weiteres purpurrotes Juwel in den Brunnen. Ich war dabei; ich sorgte dafür, das alles professionell ablief. Im letzten Augenblick stand er so steif und bleich da wie eine der Statuen vor dem Katharinenpalast. Dass er nicht um Gnade winselte wie die anderen, muss ich ihm lassen.
Ich war dabei, als sie im Jahr 1930 sein Grab entdeckte – zwei Gruben für sechzig Menschen, denn womit sollte dieser Abschaum eigene Gräber verdient haben? Da stand sie, betete und schluchzte wieder! Wäre es nach mir gegangen, ich hätte sie an Ort und Stelle erschossen. Aber wer hört schon auf mich? Und so ging sie natürlich nach Hause und schrieb noch mehr antisowjetische Gedichte.
Schon lange zuvor, in ihrem widerlichen »Als unser Volk in Selbst
mordtrauer«, hatte sie Lenin mit einer betrunkenen Dirne verglichen. Nun, sie musste es ja wissen. Deshalb hätte ich ihr lieber auf der Stelle acht Gramm gegeben, obwohl sie so vogelleicht war, dass sieben ausgereicht hätten.
Im Jahr 1933, als wir zum ersten Mal ihren Sohn Lew verhafteten, nur um sie zu triezen, leuchtete in ihrem poetischen Brunnen ein weiteres Juwel des Leidens auf; die Exegese hat gezeigt, dass es sich um das zweite rote Juwel handelte. Der rote Punkt, den Schostakowitsch fürchtete – er geistert durch all seine Alpträume –, war natürlich der Tod. Was hat ihr der rote Punkt bedeutet? Sterne und Wasser, vergifteter Trunk, Salz und Kirchen, ihre Welt, in der alles nicht nur hieß, wie es hieß, sondern eigenständig existierte, war aus genau diesen Dingen zusammengesetzt. Für Schostakowitsch glich der rote Punkt nur dem Tod. Für die Achmatowa wurde er, was immer er sonst noch war, auch zum Rubin.
Diese Konkretisierung der Schätze ist es vermutlich, worauf L. K. Tschukowskaja sich bezog, als sie schrieb, das Schicksal der Achmatowa sei sogar größer geworden als sie selbst.
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Und dennoch, langsam machten wir Fortschritte bei ihr. Wir erziehen diese Menschen, indem wir zunächst jemanden erschießen, den sie lieben, damit ihnen klar wird, dass ihnen dasselbe geschehen kann und wird; dann nehmen wir ihnen jemanden weg, den sie mehr lieben als sich selbst. So hielten wir es bei Schostakowitsch, mit ausgezeichneten Ergebnissen. Auch im Fall der Achmatowa waren wir recht effektiv: Wo Stalin ist, ist die Freiheit, der Rest ist bekannt.
Zweifelsohne erlitt sie auch andere Erschütterungen, denn unsere Revolution riss fast alles mit sich fort, selbst die Messingtafeln an den Toren dessen, was früher Sankt Petersburg hieß. Ich musste fast lachen, als ich sah, wie sehr Krylows halb mit Sandsäcken ummauertes Standbild im Sommergarten sie überraschte!
Im gleichen Jahr verboten wir ihr sogenanntes »Werk« – eine Anordnung, von der ich mich glücklich schätze sagen zu dürfen, dass sie bis 1940 in Kraft blieb. Ihr weißes Gesicht und der geflochtene schwarze Haarkranz, dem Schnee und den Weiden in Zarskoje Selo gleich, lebten wie in Vergessenheit fort; dabei war sie von niemandem vergessen worden, von uns zu allerletzt. Sie hat einmal geschrieben, der Tod stille allen Durst – mit Lauge. Wir sagten uns: Soll sie erst noch durstiger wer
den! Küsse und
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