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unsterblich, aber ich werde jede giftige Säure an euch ausprobieren, die es gibt! Ich bin schon immer zu nachgiebig gewesen. Nun, das soll anders werden. Ich werde euch gnadenlos niedermachen lassen; ich habe das Zeug dazu; euch kriege ich schon mürbe …
Aber Die-über-das-Klagen-lacht antwortet mit einem Kichern, das klingt wie das Rasseln des Kommenden, wie klappernde Knochen in einer Prozession aus bleichen Särgen, die über die verbrannte Erde des befreiten Auschwitz getragen werden.
Ich werde nicht aufgeben!, schreit der Schlafwandler. Egal, ob es nützt!
Schweigend steht die Walküre da.
Also flüstert er mit einem Flehen in der Stimme: Warum hast du mich erschaffen? Ich wollte nie erschaffen werden …
Zu Propagandazwecken natürlich. Steht alles in deinem Buch. Wie können wir andere dazu bringen, gut zu sein, ohne das Böse, auf das wir mit dem Finger zeigen können?
Hastig beruhigt er sich, lächelt und merkt an: Die Mühe hättest du dir eigentlich sparen können. Was hast du geglaubt, was ich tue – mich zum Galgen führen lassen wie ein Schaf? Meinst du, ich bin noch nie verurteilt worden?
Mit Meinungen kann ich nichts anfangen, kleiner Mann.
Und glaubst du wirklich, dass ich auch nur um eine Haaresbreite von dem Kurs abweiche, den ich mir gesetzt habe? Du glaubst, du könntest mich zu noch extremeren Taten anstacheln als jenen, die ich mir schon vorgenommen habe? Machst du dir so viele Hoffnungen? Nun, dann steht es gut um dich.
Er zieht sich zurück. Kobolde wie russische Panzer, die durch Trümmer huschen, eskortieren ihn fast bis zurück ins Licht. Er ist in Panik. Er eilt heim nach Berlin, wo er sich mit Speer einschließen und auf die Prachtstraßen des Nachkriegsberlin hinabblicken kann, in einem Modell im Maßstab eins zu tausend. Speers Kunsttischler haben das neue Opernhaus im Maßstab eins zu fünfzig gebaut, und dort drüben setzen wir ein Kino für die Massen hin. Alle Gebäude werden gleich hoch sein.
Mit ehrerbietiger Förmlichkeit fragt Speer ihn nach seiner Meinung zu einem Detail des neuen Hauptbahnhofs. Mit Bedacht probiert der
Schlafwandler einen der Sätze der Walküre aus: Mit Meinungen kann ich nichts anfangen. Ich sehe schon alles vor mir.
Speers Blick ist starr. Der Schlafwandler fühlt sich beflügelt.
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Und jetzt? Der aufgestellte Arm vervielfältigte sich millionenfach, die Hand wie eine Messerschneide, die schrillen Rufe seiner Ja-Sager, seine Oratoren mit den Kinnriemen, alle geloben sie, standhaft zu bleiben. Gehorsam liegt Deutschland ihm zu Füßen, wie eine Luftaufnahme von Feldern und Wiesen, ein Knüppeldamm aus Körpern, die bald in Russland kämpfen werden, zitternd, gewärmt nur vom Schmerz ihrer Wunden. Seine Hakenkreuzfahnen sind Grashalme auf einer endlosen Weide des Krieges. Die Standarten hoch! Sieg Heil! Von verdreckten Soldaten mit tief eingesunkenen Augen wird er bewacht. Da naht die große Schlacht zwischen Siegmund und Hunding: In der brennenden Halle kämpfen die Nibelungen weiter; dann karren Totengräber in langen Zweierreihen Leichen an die offene Grube; hinunter in den Schacht mit ihnen; wir vertuschen alles und werfen ihnen noch ein paar Brocken Erde nach, rasch, damit wir nicht noch mehr Ärger mit den Deutschen bekommen, die uns in die gestreiften Uniformen und bleichen Falten von KZ -Insassen gekleidet haben und gerade in diesem Moment unseren Untergang bauen, aus massigen Türmen und Stacheldraht.
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Italien fällt, aber der Schlafwandler weiß, wie er es vor den Juden retten kann. Fallschirme, schön wie weiße Blumen, knospen an den Himmeln, die er nun erobert. Nach der Pause haben schwarze Rauchsäulen die Strände der Normandie ins Dunkel der Bühne nach einer Pause überführt. Im nächsten Akt wird er von deutschen Truppen auf dem Rückzug singen müssen, von toten Pferden und Verdunkelung. Das tintenschwarze Bärtchen im grauen Gesicht, der aufgerissene schwarze Mund und über all dem all seine erhobenen Hände pumpen wieder frisches Blut in die marschierenden Obstbaumreihen aus Hakenkreuzstandarten. Weit voraus, hinter seinen zusammengekauerten
Kriegern, scheint ihn eine Ebene aus Lichtern und Gesichtern zu erwarten. Was mag das sein? Immer goldener schimmert dieses Land und zieht ihn weiter, über sich selbst hinaus. Nun versteht er mit ganzer Seele, warum Gunnar und Hogni der hunnischen Einladung nicht widerstehen konnten: Wenn sie ihnen auch Verderben und ihrer Schwester Leid bringen würde, wäre doch
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