Europe Central
niemanden treten darf, der schon am Boden liegt.
28 An dich habe ich gedacht, Elenka, oh, ja, wirklich …
Nicht weinen, Mitja. Dafür ist es viel zu spät. Außerdem ist es nicht mein Leid, sondern dein eigener Kummer, den du fürchtest …
Wie meinst du das?
Bleib heute Nacht bei mir, Mitja. Bitte. Nina macht es nichts aus.
Aber …
Er setzte sich und spielte an seiner Aktentasche herum. Ein bestimmtes Geigenthema ging ihm nicht aus dem Kopf.
Sie weiß Bescheid. Du hast mir gesagt, dass sie Bescheid weiß!
Wenn sie uns beobachten …
Natürlich beobachten sie uns. Aber ich komme eben von dort zurück, und du bist vermutlich (so ungern ich das sage) auf dem Weg dorthin, hättest du da nicht gerne noch ein Techtelmechtel? Wie könnte Nina uns das missgönnen? Sie hat alles andere! Übrigens, zitterst du, weil du nervös bist, oder nimmst du mir übel, was ich eben gesagt habe?
Nein nein, erwiderte er, decrescendo , und sagte dann: Ich friere … vielleicht könnten wir beide etwas Wodka und vielleicht ein wenig Räucherfisch gebrauchen. In meiner Aktenmappe habe ich fünfhundert Gramm guten – kein Wort, bitte; ein Geschenk! Und was ich noch sagen wollte … Sollen wir beide ein wenig davon probieren? Na ja, sie warten bestimmt alle darauf, dass ich ein böses Ende nehme. Es ist … Hier, Elena, siehst du, was ich mitgebracht habe? Sollertinski hat mir diesen Stör gegeben. Keine Ahnung, wo er ihn her hat …
Ich mache uns jetzt das Bett, Mitja, sagte sie leise.
Aber ich kann nicht über Nacht bleiben. Ich …
11
Aus Mitleid mit seinem lieben Freund Sollertinski, dem man seiner Loyalität wegen zusetzte (und der sowieso schon verdächtig war, weil er über zwei Dutzend Fremdsprachen beherrschte), erlaubte Schostakowitsch ihm das korrekte Abstimmungsverhalten. Sollertinski dankte ihm mit zitternder Stimme. Und so konnte die Resolution der Leningrader Komponisten zur Verurteilung der Oper gemäß der von der Prawda vorgegebenen Linie »einstimmig« angenommen werden (denn man wagte nicht, die Enthaltung des Modernisten W. Schtscherbatschow zu Protokoll zu nehmen).
In Moskau wurde sein Kollege W. J. Schebalin zwei Mal dazu »eingeladen« (mit einem Unterton allerstrengster Drohung), gegen ihn auszusagen. Als er sich schließlich erhob, sagte er: Ich halte Schostakowitsch für das größte Genie unter den Komponisten dieser Epoche. – Daraufhin durfte Schebalins Musik nicht mehr aufgeführt werden.
29
Gorki höchstpersönlich verwandte sich für Schostakowitsch, aber ohne Erfolg. Er sollte selbst bald eines geheimnisvollen Todes sterben – vergiftet, wie es heißt, auf Befehl des Genossen Stalin.
Ungeachtet der Gefahren für sein berühmtes Theater verteidigte W. E. Meyerhold, der ihn früher, in weniger verhärteten Zeiten, beschäftigt hatte, den Komponisten öffentlich und leidenschaftlich und insistierte: Man darf das Experimentieren nie mit etwas Krankhaftem verwechseln. – Schostakowitsch hielt den Kopf damals furchtsam gesenkt und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Zweifelsohne dieses und anderer Verbrechen wegen wurde Meyerhold zwei Jahre später verhaftet. Er verschwand für immer. Die Leiche seiner Frau fand man in ihrer Wohnung, mit ausgestochenen Augen.
Aus diesen Ereignissen musste Schostakowitsch gewisse Schlüsse ziehen, von denen einer sich auf »Lady Macbeth« bezog: Der Genosse Stalin hatte offenbar das Musical »Wolga-Wolga« lieber.
12
Einmal hatte am Ecktisch einer gewissen eleganten Bar in der Gorki-Straße, wo er auf Elena zu warten pflegte, ein Mann mit getönter Brille und himbeerroten Stiefeln gesessen, langsam sein Bier getrunken und ihn angestarrt. Schostakowitsch hatte so getan, als gäbe es ihn nicht, und sich einen Wodka bestellt. Kaum war sie hereingelaufen gekommen, das ganze Gesicht schon vor Liebe strahlend, hatte der Mann gezahlt, war aufgestanden und gegangen und hatte sie dabei über die Schulter angeblickt. Und sie – nein, darüber sollte man lieber nicht reden! Was hatte das zu bedeuten? Nichts. Sie war abgeholt worden, aber nicht gleich und nicht mit ihm; also konnte es unmöglich um ihn gegangen sein. Er konnte unmöglich verantwortlich sein. Oder hatte man ihn mit ihrer Verhaftung einfach einschüchtern wollen?
Er fragte sich, ob er sie von nun an ganz meiden sollte, um seiner Frau willen und des Kindes in ihrem Bauch. Die Lage war, sozusagen,
traurig, wirklich, man hätte sie geradezu verzweifelt nennen können, aber ich, Sie
Weitere Kostenlose Bücher