Eva Indra
nach einem der trockenen Handtücher zu suchen. „Ich hab’s gleich!“, stieß er hektisch aus, als er eines gefunden hatte und kehrte ins Bad zurück. Mit dem trockenen Tuch polierte er wie ein Waschweib den Boden und steckte die blutigen, teilweise nassen Tücher in den Plastikbeutel, der im Papierkorb hing, um ihn gleich darauf in seine Tasche zu stecken. Nur keine Spuren hinterlassen! dachte er sich. Anna hatte sich mittlerweile sein Hemd angezogen und obwohl es ihr viel zu groß war, tat es genau den Zweck – nämlich ihre zerschnittenen Handgelenke zu verstecken.
Dies war die zweite Nacht mit Anna gewesen und die Aussichten auf Besserung waren nicht wirklich rosig. Sie mussten so schnell wie möglich nach Wien. Aber wie sollten sie das anstellen?
Der Rezeptionist erwartete die beiden mit ungehaltener Neugierde. Anna passierte geistesabwesend die Rezeption, ohne ihre Umgebung auch nur wahrzunehmen, während Alex die Rechnung bezahlte.
„Signoria!“, rief ihr der Hotelangestellte noch nach „Bonna fortuna!“, doch sie hatte sich nicht dankend zu ihm umgewandt. Statt dessen war sie ins Taxi gestiegen und als Alex sich neben sie setzte, war er über ihre wiedergewonnene Gesprächigkeit dem Taxifahrer gegenüber erstaunt. Alex beteiligte sich nicht an diesem Gespräch, denn er fand, dass sein Englisch nur so lange ausreichte, bis er neben einer Person saß, die eine Fremdsprache beherrschte. Dieser Umstand ließ ihm etwas Zeit zum Denken. Die Idee mit dem Arzt war vielleicht etwas voreilig gewesen. Ein erneutes Risiko, für das er nicht mehr die Nerven hatte. Natürlich würde man Annas Daten in dem Krankenhaus registrieren und das wäre leichtsinnig, wenn man in Betracht ziehen musste, dass Leonards Leiche eventuell schon gefunden wurde. Am liebsten hätte er diese ganze Aktion abgeblasen, Anna in ein Krankenhaus verfrachtet und wäre zurück nach Los Angeles geflogen. Das Bild seines toten Vaters, Annas selbstmörderische Absichten - all' das in nur weniger als vierundzwanzig Stunden - wie sollte man da nicht ans Aufgeben denken. Doch anderseits - wenn er nur wüsste, wie er auf dem schnellsten Wege nach Wien kommen konnte, zu dieser Freundin, von der er noch nicht einmal den Namen oder die Adresse kannte, dann... Alex’ Gedankengang wurde von dem abrupten Anhalten des Wagens vor dem Krankenhaus unterbrochen.
„Was hast du ihm gesagt?“, fragte Alex, nachdem der Taxifahrer ausgestiegen war, um die Taschen aus dem Kofferraum zu nehmen.
„Dass ich schwanger bin, aber viel Blut verloren habe“, erklärte Anna. Mit einem Satz war Alex aus dem Auto gesprungen und auf den Taxifahrer zugegangen. „Könnten Sie bitte so freundlich sein und Hilfe holen, ich bleibe inzwischen bei meiner Freundin. Es geht ihr wirklich nicht sehr gut!“
„Certo!“, entgegnete der Taxifahrer und verschwand ins Krankenhaus.
42
Eva Indra Bis aufs Blut
Kaum war er nicht mehr zu sehen, lud Alex die Taschen wieder in den Kofferraum, schwang sich dynamisch auf den Fahrersitz und fuhr mit dem Taxi und Anna aus der Krankenhausauffahrt.
„Was machst du?“, rief Anna hysterisch.
„Ich stehle das Taxi, damit wir endlich weiterkommen. Das Krankenhaus wäre viel zu riskant, Anna. Wir müssen damit rechnen, dass sie Leonard bereits gefunden haben und nach dir suchen. Ich bringe dich zu einem Arzt, aber nicht hier in Turin, okay?“, sagte Alex und wusste nur zu gut, dass das eine Lüge war.
„Wie weit ist es von hier nach Wien“, fragte er Anna nach einer Weile.
„Acht, neun Stunden...“
„Acht Stunden!“, stieß Alex voller Überraschung aus und versuchte gleichzeitig den Taxameter, welcher immer noch lief, abzustellen.
„Lass’ ihn an“, bat Anna „..dann können wir Pedro das Geld mal zurückgeben.“ „Wer ist Pedro?“, fragte Alex immer noch an den Knöpfen drückend.
„Das war unser Taxifahrer“, entgegnete Anna trocken.
43
Eva Indra Bis aufs Blut
Kapitel 8
Anna fühlte die Vibrationen des Lichtes, bevor sie das flackernde Blaulicht auch nur gesehen, geschweige denn die heulende Sirene gehört hatte. Bisher hatte sie keine Beziehung zur Polizei gehabt und wenn überhaupt je eine bestanden hatte, war diese verbundenen gewesen mit Schutz. Den gegeben Umständen entsprechend, hatte sich aber ihre Auffassung zur der polizeilichen Schutzfunktion gewaltig geändert, denn nun hatte sie höllische Angst vor diesen Männern in Uniform. Dessen ungeachtet, konnte sie dennoch der Versuchung nicht widerstehen,
Weitere Kostenlose Bücher