Eva Indra
sich in ihrem Sitz umzudrehen, um sich zu vergewissern, dass ihre Sinne sie nicht getäuscht hatten. Die erschreckende Tatsache, dass sie aber wirklich, wenn auch in weiter Ferne, einen dunkelblauen Wagen mit Blaulicht erkannte, der immer bedrohlicher näher zu kommen schien, ließ sie erschaudern.
Frische Luft! Sie brauchte dringend frische Luft!
Hastig kurbelte sie das Fenster herunter, denn ihre immense Müdigkeit machte es ihr schwer, sich auf diese unangenehme Lage einzustellen. Doch von Erfrischung konnte keine Rede sein. Heiße Luftströmungen und die heulende Sirene der Polizei, die ihr wie ein Todesschrei in den Ohren dröhnte, brachte ihr nicht die erhoffte Abkühlung, geschweige denn einen guten Fluchtplan. Deshalb kurbelte sie entmutigt und mit letzter Kraft das Fenster wieder in die Höhe und sackte mit geschlossenen Augen ermattet in ihren Sitz zurück.
Vorwurfsvolle Gedanken, der fieberhafte Versuch einen Ausweg zu finden und traumatischen „Deja-vu“-Szenen von Samstagabend überlasteten ihren ohnehin schon brummenden Schädel. Darüber hinaus war es mittlerweile unerträglich heiß in dem Auto, so dass sie kaum noch Luft zum Atmen fand. Hatte sie gar Fieber? Um der Sache auf den Grund zu gehen, legte sie sich zur Selbstdiagnose ihren Handrücken auf die Stirn. Na also! Sie hatte Fieber! Kein Wunder, dass sie sich so elend fühlte. Ein Schluck Wasser wäre gut gewesen, aber sie hatte nicht die Kraft, den Taxifahrer danach zu fragen, statt dessen öffnete sie erneut das Fenster. Die Sirene schien nun klarer und mehr gegenständlich. Sollte sie sich nochmals umdrehen, um zu sehen wie weit die Polizei noch entfernt war? Nein, besser nicht! Niederlegen, nur für einen kleinen Moment? Gute Idee! Anna zog ihre Beine an und legte sich auf die kurze Sitzbank. Nun fühlte sie sich etwas besser. Wäre es gut, den Taxifahrer zu warnen, der von der Bedrohung, die ihnen bevorstand, offensichtlich noch keine Notiz genommen hatte? Ja, das machte Sinn!
„Hey du! Die Polizei ist genau hinter uns“, flüsterte sie, als könnten sie die Bullen hören.
„Was?“, stieß er aus und drehte sich zu ihr um. „Was machst du denn da unten?“, fragte er völlig verwundert.
Anna zuckte erschreckt zusammen, denn der Taxifahrer sah genauso aus wie Alex. „Polizei - hinter uns!“, fauchte sie erneut leise zurück
Der Mann blickte zwar für einen Augenblick in den Rückspiegel, lenkte aber ansonsten das Auto unbekümmert durch die Peripherie Turins.
„Machen Sie etwas! Fahren Sie schneller, verdammt noch mal!“, zischte sie aufgebracht und erwartete eine dementsprechende Reaktion von ihm.
Doch der Taxifahrer oder war es doch Alex, schien von ihrer Warnung keine Notiz zu nehmen, denn der Wagen, soweit sie das aus ihrer geduckten Position überhaupt sagen konnte, beschleunigte seine Geschwindigkeit auch nicht im Geringsten. Hatte er nicht gehört, was sie zu ihm gesagt hatte? Warum unternahm er nichts? Und dann, mit einem Male, dämmerte es Anna langsam. Natürlich! Er wollte, dass sie verhaftet wurde! Na klar - das war die Antwort! Warum sollte er sonst mit dem Auto so dahinzuckeln.
44
Eva Indra Bis aufs Blut
Anna versuchte sich zu konzentrieren. Der vermeintliche Taxifahrer war Alex, das war es. Er wollte sich für den Tod seines Vaters rächen und als Held vor der Polizei dastehen, indem er ihnen die Mörderin gleich mit auslieferte. Anna durchzog ein gewaltiger Schauer der Angst und sie steigerte sich noch mehr in ihre eben gefasste Theorie, indem sie sich in Alex’ Lage zu versetzen suchte. Was würde sie an seiner Stelle mit dem Mörder ihres Vaters tun? Ich würde ihn umbringen, war ihr erster und einziger Gedanke, der dennoch bizarr war. War sie so ein emotionaler Krüppel, der jedermann umbringen wollte? Wurde sie als Kind missbraucht und konnte sich nicht mehr daran erinnern? Hatte sie es vielleicht sogar ihr Leben lang verdrängt? Sie brauchte Hilfe! Ärztliche Hilfe - und das so schnell wie nur möglich.
Unvermittelt blieb der Wagen stehen. Rote Ampel, dachte sich Anna. Hoffentlich!, dachte sie weiter, als sich das Auto auch nach einer ganzen Weile nicht von der Stelle bewegt hatte. Nach kurzer Zeit hielt es Anna einfach nicht mehr aus. Sie musste unbedingt wissen, wodurch ihre Weiterfahrt behindert wurde. Vorsichtig, nur ihren Kopf leicht anhebend, blickte sie aus dem Fenster und erkannte zur ihrer Erleichterung tatsächlich eine rote Ampel. Sie wollte sich gerade wieder auf die Sitzbank legen,
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