Eva Indra
andere Dimension. Schwer, bleich und leblos wirkte er nun, und Alex konnte sich mit einem Mal gar nicht mehr vorstellen, dass sie ihn, nur Stunden zuvor, wie ein Energiebündel in ekstatische Sphären katapultiert hatte.
Wie hatte es nur soweit kommen können? Behutsam bettete er ihren Leib in die verschwitzten Laken, bedeckte ihn und setzte sich letztendlich entmutigt neben sie auf den Bettrand. Nachdem er sie eine Zeitlang beobachtete hatte, wischte er mit dem feuchten Tuch über ihre Stirn, denn eine andere Maßnahme kam ihm einfach nicht in den Sinn. Es war der erste Selbstmordversuch, an dem er leibhaftig beteiligt war. Als er wieder einmal mit dem nassen Lappen entlang ihres Nackens fuhr und ihn dann bis hinab zu ihren Armen zog, wurde ihm plötzlich unglaublich schlecht. Das pulsierende, förmlich pochende Klopfen des Blutes in ihren Adern, das er durch das Tuch hindurch fühlte, gepaart mit ihren blutbefleckten Armen, all’ das war einfach zu viel für ihn. Unverzüglich nahm er seine Hände von ihrer kalten Haut und wandte sich gerade noch rechtzeitig von ihr ab. Hilflos und mit eingefallenen Schultern hockte er neben ihr, während sich sein Blick auf den Teppichboden richtete. Konzentriert starrte er auf das Teppichmuster und zog mit seinen Augen entlang den Konturen eines Paisleysymbol, als Anna ihn mit einem Mal an seinem Arm ergriff.
39
Eva Indra Bis aufs Blut
„Anna!?“, stieß er erfreut aus, doch sie hatte ihre Augenlider schon wieder geschlossen. Verzweifelt legte er das nasse Tuch, das heruntergeruscht war, erneut auf ihre Stirn, als sie ihn mit einmal Mal mit weitaufgerissenen Augen ansah.
„Anna?“, sagte er liebevoll und versuchte sich dabei selbst wieder etwas zu fassen, doch sie hatte ihre Augen schon wieder geschlossen. Betrübt erhob er sich vom Bett und trabte ins Bad, um das Handtuch mit frischem Wasser zu benetzen, als ihn der süßliche Geruch ihres Blutes fast zum Erbrechen brachte. Mein Gott war ihm schlecht! Mit einem großen Schritt überstieg er die Blutlache auf dem Boden und stellte sich seitlich neben das Waschbecken. Mit dem Stück Seife, von dem kaum noch etwas übrig war, wusch er sich seine Hände und dabei erhaschte er einen kurzen Blick von seinem Gesicht in dem Spiegel. Er sah erbärmlich aus. Sein dunkler Bart in dem bleichen Gesicht, gepaart mit dem fettigen Haar, ließen ihn wie einen Schwerverbrecher aussehen. Kein Wunder, dass ihn der Rezeptzionist so fragwürdig angesehen hatte. Der Rezeptzionist! Ja richtig!
Vielleicht konnte der ihm behilflich sein. Alex war nur zu deutlich bewusst, dass er Anna nicht wirklich helfen konnte. Sie musste zu einem Arzt, vielleicht sogar ins Krankenhaus, denn sie hatte eine ganze Menge Blut verloren, das jetzt dick und schwer auf dem Badezimmerboden eintrocknete und obwohl sie nach wie vor bei Bewusstsein war, war ihre Verfassung doch mehr als bedenklich. Alex kam mit dem nassen Handtuch zurück ins Zimmer und stellte fest, dass Anna eingeschlafen war - für ihr leises, unregelmäßiges Schnarchen war er diesmal dankbar.
„Buon giorno, signore“, begrüßte ihn der gleiche Rezeptzionist wie schon zuvor. „Buon giorno!“, antwortete Alex leicht erregt. Der Rezeptzionist schien riesig erfreut, Alex wiederzusehen, denn er hörte überhaupt nicht mehr auf zu plappern.
„Wo ist das nächste Krankenhaus?“, unterbrach ihn Alex abrupt. „Ospitale!“, stieß der Rezeptzionist in der Aufregung auf Italienisch aus. „Wieso? Sind Sie krank?“, setzte er in Englisch fort.
„Nein! Nein! Ich nicht! Nur meiner Freundin ist nicht gut.“, sagte er so gefasst wie nur möglich und fügte dann aber noch hinzu: „Gar nicht gut!“
„Wo ist es denn nun, das Krankenhaus?“ fragte Alex gereizt, weil der Hotelangestellte bisher nicht reagiert hatte.
„Ach - nicht weit, cinque minuti von hier. Soll ich die Rettung rufen?“ fragte der nun endlich alarmierte Rezeptionist.
„Nein, nein! Bestellen Sie mir nur ein Taxi und machen Sie mir die Rechnung fertig. Ich bin gleich wieder zurück“, sagte Alex und fuhr wieder mit dem Lift in den dritten Stock.
Alex war sich sicher, dass er das Zimmer verdunkelt hatte, bevor er zur Rezeption hinunterging. Doch als er nun wieder eintrat, waren zu seiner Verwunderung die Fensterläden weit aufgestoßen und Anna nicht mehr ihm Bett.
„Anna, verdammt noch mal, du wirst dich doch nicht schon wieder umbringen wollen?“, schrie er, als er sie über die Brüstung am Balkon gelehnt
Weitere Kostenlose Bücher