Eva Indra
könnte die Polizei keine Verbindung zwischen dem Toten in einer Villa in Lecce und den Autodiebstählen in Turin mehr herstellen, denn bis dahin wären sie im wahrsten Sinne des Wortes schon über alle Berge. Und das bedeutete gleichzeitig, dass sie bisher nur nach Autodieben fahndeten. Den Pass, den er dem Rezeptzionisten gezeigt hatte, war gefälscht gewesen. Das war etwas, was er in all den Jahren, in denen er sich mit den Leuten von der Unterwelt herumgeschlagen hatte, gelernt hatte. Nach einem Roy W. Fitzgerald würden sie suchen und den würden sie in Italien nicht finden.
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Eva Indra Bis aufs Blut
Kapitel 10
Es war gegen sechs Uhr abends, als sie in Cernobbio, einem Kurort am Comer See, ankamen und Alex das Auto direkt vor dem Hotel Miralago parkte. Es war eigentlich ein privater Hotelparkplatz, der nur für Hotelgäste bestimmt war, aber Alex hatte es anscheinend satt noch weitere Runden um den Corso zu fahren, um nach einem passenderen Parkplatz zu suchen. Sie waren schon viermal um den Block gefahren und Alex hatte bei jeder neuen Runde durch die engen Gassen immer missmutiger geschnaubt, bis er am Schluss nur noch still und sichtlich resigniert am Lenkrad drehte. Er wirkte überhaupt völlig erschöpft. Das war bedenklich, denn sie hatten noch nicht einmal ein Drittel der Strecke nach Wien hinter sich gebracht.
Anna rekelte sich aus dem Wagen, streckte sich mit einem wohltuenden Stöhnen und lief übermütig die paar Meter zum Seeufer. Es war Flaute. Der See lag ruhig und spiegelglatt vor ihr, dunkelgrün schimmerte er von den umliegenden bewaldeten Bergen, die sich in ihm reflektierten. Weit draußen erspähte sie ein Segelboot, dessen Skipper auf den gegenüberliegenden Hafen zusteuerte. Er hatte sein Segel auf den Großbaum heruntergelassen, über den es wie ein nasser Sack achtlos gefaltet war, die Pinne hatte er hochgeklappt, die Fock flatterte gelangweilt im Fahrtwind. Seine Hand lag auf dem Griff eines dieser kleinen Elektromotoren, dieser Flautenschieber, die aussahen wie Hals und Kopf eines Emus. Lautlos pflügte das Schiff eine Schneise ins Wasser, der Skipper saß starr mit dem Blick geradeaus und hinter ihm öffneten die Wellen den See wie die gespreizten Beine einer Frau, deren Lustzentrum dieses Schiff war. Näher am Ufer dümpelten ein paar Jollen und kleinere Kajütsegler an Bojen. Man konnte schwach die Wanten hören, wie sie faul an die Masten schlugen. Leise plätscherten winzig kleine Wellen an die Kaimauer. Es war Anna, als würde der See ganz sanft mit seiner Zungenspitze am Ufer lecken, um das Land zu reizen, sich mit ihm zu verbinden. Es war diese einzigartige Liebkosung, die sie selbst so gerne empfing, wenn Fingerspitzen oder eine Zunge erregend oberflächlich über ihr Gesicht und ihren Arm strich, nicht direkt, nicht deutlich, sondern wie ein Hauch, den sie mehr ahnte als spürte und der sie gerade deswegen um so mehr erregte. Und je länger sie dem See zusah, der mit dem Land spielte, desto dringender wollte sie sich diesem See hingeben, in ihn eintauchen, sich von ihm umarmen lassen, mit jeder Pore ihres Körpers ihn spüren und mit ihm verschmelzen. Anna schaute sich um. Seltsamerweise sah man keinen einzigen Schwimmer im Wasser. Obwohl sich der Tag dem Ende zuneigte, hatte die Sonne nicht an Kraft verloren. Ganz im Gegenteil, es war jene Stimmung des Tages, in der Anna eigentlich am liebsten badete. Ganz abgesehen von ihrer Erregung flehte ihr verspannter Körper förmlich nach Bewegung, denn dieses Auto war wirklich nicht sehr bequem gewesen. Aber außer den nicht sehr einladenden modrigen Stufen, die von der Promenade ins Wasser führten und anscheinend mehr als Anlegestelle für die Bootsfahrer als für Schwimmer gedacht waren, sah sie keine Möglichkeit in den See einzutauchen. Deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als voller Sehnsucht und Wehmut auf den See hinaus zu blicken, bis Alex sich zu ihr gesellt hatte.
„Lass uns über Nacht hier bleiben!“, stieß sie mit einer wiedergefundenen Lebensfreude aus.
„Nein, wir müssen weiter, Anna!“, antwortete Alex gänzlich unbeeindruckt von der Szenerie.
„Heute noch?“
„Ja! Wir sind hier nicht im Urlaub. Hast du das vergessen?“
Stillschweigend und nur weil Alex sich die Füße etwas vertreten wollte, schlenderten sie entlang der Seepromenade, bis Anna seine Wortkargheit nicht mehr aushalten konnte.
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Eva Indra Bis aufs Blut
„Willst du denn die ganze Nacht bis nach Wien durchfahren?“, fragte
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