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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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auf den Weg zu der Praxis, wo man auch auf Krankenschein behandelt wurde. Dort wartete sie zwischen Kindern mit Mumps und Alten mit Darmentzündung, und als sie dran war, sagte sie dem Arzt, worunter sie litt: Schlaflosigkeit. Der Mann betrachtete ihre graue Haut, die dicken Ringe unter den Augen und verschrieb ihr Benzodiazepin.
    Ist das ein Schlafmittel?
    Ja. Damit werde sie endlich wieder tief schlafen können.
    So machte sich Gerda auf den Weg zur Apotheke. Hielt sie dabei das Rezept in der Hand wie ein Samurai das Schwert, mit dem er Harakiri verüben wird? Nein, sie hatte es zu Puder und Geldbörse in die Handtasche gesteckt. Doch zu sterben war sie ebenso wild entschlossen wie ein japanischer Krieger.
    So gelangte sie zur Apotheke von Doktor Sanna. Doch die war geschlossen. Gerda konnte es nicht glauben, schließlich war es vier Uhr am Nachmittag, es war Montag, und nicht Weihnachten. Am heruntergelassenen Rollgitter hing ein Blatt voller Stempel, auf dem ganz oben stand:
    PROVINZVERORDNUNG/ORDINANZA PROVINCIALE
    Gerda blickte sich um. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich eine kleine Menge auf dem Gehweg vor der Apotheke versammelt hatte. Männer, Alte, junge Mütter mit ihren Säuglingen, wehrpflichtige Soldaten. Sie brauchten Aspirin, Mundwasser oder Insulin. Kondome, Fieberthermometer oder Antibiotika, Blutgerinnungsmit tel, Mullbinden oder sterile Spritzen. Läusegift, Halstabletten oder eben Benzodiazepin, um dem Schmerz ein Ende zu machen.
    Doktor Sanna aber hatte die Zweisprachigkeitsprüfung nicht bestanden und durfte das alles niemandem mehr verkaufen.
    Hätte sie es unbedingt gewollt, so wären auch noch die Apothe ken in den Nachbarorten erreichbar gewesen. Doch die Entschlos senheit, die sie zu Doktor Sanna geführt hatte, war schon ein wenig erlahmt.
    So starb Gerda also nicht. Aber sie begann, sich mehr und mehr zu vernachlässigen. Wenn sie Fleisch holen ging, vergaß sie den Wintermantel überzuziehen und betrat in Hemdsärmeln, noch erhitzt von der Küche, die Kühlkammer. Und auf der Stelle gefror ihr der Schweiß auf dem Leib, und ihre Nieren schmerzten wie unter Stromstößen, aber sich etwas überzuziehen fiel ihr erst ein, wenn sie bereits wieder draußen war. Gerda war von unverwüstlicher Natur wie ihr Vater Hermann, und so dauerte es lange, bis sie krank wurde, aber schließlich bekam sie sehr hohes Fieber. Als Frau Mayer sie in der Kammer unter dem Dach aufsuchte, erschrak sie: Ihre Chefköchin schwitzte und zitterte, als habe sie die Cholera, und das Kopfkissen war mit Haaren übersät, die Gerda büschelweise ausfielen. Drei Wochen musste sie das Bett hüten. Als sie endlich wieder aufstehen konnte, hatte Gerda mit ihren nicht mal dreißig Jahren große kahle Stellen auf dem Kopf. Monatelang band sie sich ein Kopftuch um. Dann waren die blonden Haare nachgewachsen, wurden aber nie mehr so flauschig wie zuvor.
    Gerda nahm ihren harten Arbeitsalltag wieder auf. Es war alles wie zuvor. Nur wenn jemand in der Küche das Radio anstellte, schaltete sie es sofort aus. Das Radio aus ihrem Zimmer schenkte sie Elmar. Musik hören schmerzte sie mehr als alles andere. Wenn sie im Café einen Mann traf, fragte sie nicht, wie er heiße, und wenn er es ihr trotzdem sagte, hörte sie nicht hin. Es gab nur einen Namen, den sie hören wollte.
    Eines Morgens, in einer Pause bei der Zubereitung der Grundzutaten, ging sie hinaus, um hinter dem Haus eine Zigarette zu rauchen, in der Hand den Kochlöffel, den sie zurückzulegen vergessen hatte. Da stand Hannes Staggl, der auf sie gewartet hatte. Er war dicker geworden, seine roten Haare von grauen Strähnen durchzogen, und seine Augenlider sahen immer mehr wie die von einem Salamander aus. So stand er da im Hof von Frau Mayer wie ein verkehrtes Einzelbild in einem Film.
    »Figg lai mit mir, Gerda« , sagte er zu ihr. Fick nur mit mir. »Der Kerl hat dich verlassen, weil er dich nicht geliebt hat. Aber ich bin noch da, und wenn du Ja sagst, bin ich bereit, dir alles zu bezahlen. Fick nur noch mit mir, jetzt und in Zukunft, und dir und Eva wird es an nichts fehlen.«
    Gerda zielte und schleuderte dem Vater ihrer Tochter den Kochlöffel ins Gesicht. Sie traf ihn seitlich am Auge. Und dabei konnte sich Hannes Staggl noch glücklich schätzen, denn zehn Minuten vorher war Gerda noch damit beschäftigt gewesen, mit einem Hackebeil eine Rinderschulter zu entbeinen.
    Wochenlang lief er mit einem geschwollenen und blauen Auge, das er nur halb öffnen konnte, herum

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