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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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gengrauen. Der Apparat klingelte zu einem trügerisch friedlichen Zeitpunkt, gleich nach dem Mittagessen, als Magnago gerade mit seiner Frau Sofia den Espresso eingenommen hatte und sich anschickte, ins Büro zurückzukehren.
    Eine bekannte Stimme mit römischem Akzent meldete sich und berichtete ihm von dem roten Renault, von der Straße, wo er gefunden wurde – und in der Nähe die beiden größten Parteien Italiens ihren Sitz hatten –, von der Leiche unter der Decke.
    Seit einiger Zeit hatte Sofia Probleme mit ihrem Gedächtnis, und immer häufiger fielen ihr die Bezeichnungen für Dinge nicht mehr ein, oder vielleicht war es auch so, dass sie sich von ihrer Sprache nicht mehr finden lassen wollten. Von jenem hölzernen Dingsda mit vier Beinen wusste sie im Moment nicht, wie es hieß, aber das brauchte sie auch nicht, um es ihrem Mann hinzuschieben: Auch wusste sie nicht, was man ihm am Telefon erzählte, sah aber sehr genau, dass Silvius umzukippen drohte.
    Magnago ließ sich auf den Stuhl sinken und legte eine Hand an die Stirn. Sie möge den Fernseher einschalten, bat er sie.
    Man sah die Leiche, die zusammengekrümmt im Kofferraum lag. Die Scharen von Polizisten. Einen Priester, der die Letzte Ölung spendete. Das Magnago wohlvertraute intelligente Gesicht des Mannes hatte jetzt einen langen Bart, nach den vielen Tagen der Angst und des Schreckens in der Gefangenschaft der Terroristen. Da war sie, die volle Zerstörungskraft des Hurrikans. Aldo Moro war umgebracht worden.
    Magnago barg das Gesicht in den Händen, ließ die Stirn an die Brust seiner Frau neben ihm sinken und weinte.
    An jenem 9. Mai 1978 stand auch Gerda vor dem Fernsehgerät. Frau Mayer, die Gäste, die Kellner, Köche und Hilfsköche, alle starrten sie gemeinsam schweigend auf den Bildschirm.
    Aus dieser Gruppe waren nur Gerda, Elmar und Frau Mayer bei dem Bankett dabei gewesen, das der Obmann Magnago viele Jahre zuvor zu Ehren Aldo Moros in ebendiesem Raum gegeben hatte. Das übrige Personal war später eingestellt worden. Gerda dachte daran zurück, wie sie sich in einer Reihe postiert und den hohen Gästen die Hand geschüttelt hatten. Sie versuchte, sich auch an Moros Augen zu erinnern, aber dann fiel ihr ein, dass er den Blick gesenkt hielt, während er ihre Hand ergriff zu einer Geste, die kaum als Händedruck zu bezeichnen war oder als der Händedruck eines mit Sicherheit körperlich schwachen, vielleicht sogar wehrlosen Mannes. Wieso mochten diese Leute wohl einen solch sanften Menschen ermordet haben?
    Und ebenso wenig hatte es irgendein Mensch, egal ob unbedeutend oder mächtig, verdient, dann noch auf diese unwürdige Weise, wie eine Kiste oder eine Reisetasche, in einen Kofferraum verfrachtet zu werden.
    Dies war aber nicht der schlimmste Tag, denn für die Hinterbliebenen ist jeder neue Mord schlimmer als die zuvor, und auch danach sollte es in Italien noch viele, zu viele Gewaltopfer zu betrauern geben.
    Im Vergleich dazu waren die Anschläge, die es in Südtirol noch gelegentlich gab, wie jene Knallerbsen, die lange nach Silvester erst explodieren, Kinkerlitzchen, Feuerwerkskörper, gemessen an dem, was im übrigen Italien geschah.
    Im Jahr 1979 sprengte der Tiroler Schutzbund , eine extremistische Splittergruppe, von der kaum jemand gehört hatte, wieder einmal den »Wastl« in Evas Kleinstadt in die Luft. Vierzig Jahre schon wurde das Alpinodenkmal zerstört, wieder aufgebaut und wieder zerstört, wie der Zankapfel in einem nicht enden wollenden Wettkampf.
    Schon seit Längerem besuchte Eva ein Internat in Bozen, mittlerweile die Gymnasialklassen der Oberstufe, zu denen sie dank ihrer sehr guten Noten im Mittleren-Reife-Zeugnis zugelassen worden war. Nach langen Diskussionen hatte sie ihre Mutter davon überzeugen können, dass Köchin kein Beruf für sie sei. An jenem Morgen kam sie an der Kreuzung vorüber, wo junge Wehrpflichtige in Kampfanzügen und hohen Stiefeln damit beschäftigt waren, mit Besen und Schaufeln »Wastls« zertrümmerte Einzelteile vom Boden aufzulesen. Sie sahen nicht aus wie Militär im Einsatz gegen einen Terrorismus, der eigentlich der Vergangenheit angehörte, sondern eher wie fleißige Bauernjungen.
    Bis auf vereinzelte extremistische Ausnahmen war auf beiden Seiten das Interesse an diesem Kampf völlig verflogen. Sogar der »Nationale Verband der italienischen Alpini« traf einige Monate später die weise Entscheidung, das Monument nicht wieder aufzubauen und stattdessen ein granitenes

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