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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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dieses kleine Mädchen immer mit hellblon den, fast weißen Haaren vorgestellt, wie die Kinder aus Deutschland eben, die im Frühling bei uns Urlaub machen. Und ich hatte recht.«
    »Nein, das hattest du nicht.«
    »Wieso? Bist du nicht blond?«
    »Doch, aber ich bin keine Deutsche aus Deutschland. Ich bin Südtirolerin.«
    Er schaut mich an. Ernst, aber mit lachenden Augen.
    »Und das ist etwas völlig anderes …«
    »Ja, sicher, etwas völlig anderes.«
    Wie sehr er doch seinem Vater ähnelt. Er hat das gleiche, ein wenig schiefe Lachen: Die eine Mundhälfte hebt, dehnt und verbreitert sich, und die andere Hälfte rührt sich nicht, als warte sie darauf, dass die Gegenseite mit diesen Tänzchen fertig wird – aber nicht ungeduldig.
    »Was hat er sonst noch von mir erzählt?«
    »Dass er sich wünscht, dass du glücklich bist.«
    Ich wende den Blick ab.
    »Hast du Hunger?«, fragt er mich.
    Es ist ein kleines Restaurant in einer engen Gasse, in der man aber das Meer riechen kann. Die Ricottafrikadellen und frittierten Meeresfrüchte kommen mir wie das leckerste Essen vor, das mir je serviert wurde, vielleicht weil ich seit Franzensfeste nichts Warmes mehr gegessen habe.
    Gabriele ist auch Carabiniere. Er hat zwei Universitätsabschlüsse gemacht, in Jura und Politikwissenschaft, und spricht drei Sprachen sowie einige Brocken der Sprachen jener Länder, in denen er stationiert war: Bosnien, Kosovo und Irak.
    Im Kosovo, erzählt er, sei es wichtig gewesen, die Volksgruppen nicht zu verwechseln und Albaner und Serben in der richtigen Sprache zu begrüßen. Und in einem albanischen Café müsse man aufpassen, dass man nicht drei Kaffees bestelle, indem man Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger hebt. Denn das sei der Gruß der Serben. Statt des Daumens müsse man den Ringfinger nehmen. Andernfalls werde das als Beleidigung aufgefasst, und mit beleidigten Albanern sei nicht zu spaßen.
    In Pe c ´ habe er mit seinen Männern eine »Mädchenfarm« befreit, wie sie, die Carabinieri im Auslandseinsatz, solche Gefangenenlager nannten. Was er da genau gesehen hat, will er nicht erzählen. Aber den Chef des Lagers habe er persönlich bewacht und den Vertretern des internationalen Gerichtshofs übergeben. Ein Mann mittleren Alters, verheiratet mit einer unterwürfigen Frau und drei Töchtern im gleichen Alter wie die weiblichen Gefangenen, die von ihren Bewachern wie lebendes Fleisch konsumiert worden seien.
    »Das ist einfach nicht zu begreifen«, meint er.
    »Wenn ich von solchen Gräueln höre«, sage ich, »denke ich immer, dass wir in Südtirol wirklich Glück hatten, weil wir davor verschont geblieben sind.«
    »Ja, großes Glück.«
    Nach dem Espresso hebe ich den Blick und sage lächelnd:
    »Du fragst mich gar nicht danach.«
    »Wonach denn?«
    »Ob ich mich eher als Italienerin oder als Deutsche fühle.«
    »Warum sollte ich? Genauso gut könntest du mich fragen, ob ich mich eher als Kalabrese oder Italiener fühle oder, wenn du so willst, als Normanne, Araber, Grieche oder Albaner.«
    Ich schaue ihn an und frage mich, wie es wohl gewesen wäre, mit Gabriele als kleinem Bruder aufzuwachsen.
    Vor dem Hotel angekommen, schaltet Gabriele den Motor aus. Einen Augenblick schweigt er und sagt dann:
    »Auch meine Mutter hat von euch gewusst.«
    »Deine Mutter …! Und wie hat sie das erfahren?«
    »Durch meine Großmutter, die nicht mehr lebt. Als sich meine Eltern verlobten, sagte sie zu ihr: Die große Liebe meines Sohnes war eine andere. So wie diese Frau wird er dich niemals lieben. Aber er wird dich immer achten, denn er ist ein guter Mann. Nimm ihn so, wie er ist, oder lass es bleiben.«
    »Und deine Mutter hat ihn genommen.«
    Gabriele nickt.
    »Aber es wurde keine unglückliche Ehe, überhaupt nicht.«
    Er bringt mein Gepäck zur Rezeption. Bevor er sich verab schiedet, reicht er mir ein Päckchen. Es ist klein, in braunes Pack papier eingeschlagen und mit einer dünnen Kordel verschnürt. Alt sieht es aus und riecht so, als habe es lange in einer Schublade gelegen.
    »Mein Vater hat mich gebeten, dir das zu geben, wenn du ankommst. Hier, das wirst du wahrscheinlich brauchen«, fügt er hinzu und reicht mir einen alten Walkman und Kopfhörer.
    Wir verabschieden uns mit einer ungelenken Umarmung wie zwei Menschen, die sich fest drücken möchten, aber zu befangen dafür sind.

197 8 – 1979
    Dieser Anruf, einer der schlimmsten, den er je bekommen hatte, erreichte ihn nicht mitten in der Nacht und auch nicht im Mor

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