Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Basrelief zu schaffen, das Alpini im Friedenseinsatz zeigen sollte. Bis zu seiner Realisierung würde »Wastls« amputierte Büste an ihrem Platz auf dem Sockel stehen bleiben. Das Relief allerdings wurde nie gefertigt, und die halb zerstörte Statue blieb dort, wo sie heute noch zu sehen ist.
Eva war über die Ferien zu Hause, als das Päckchen gebracht wurde. Es war in braunes Packpapier eingeschlagen und mit einer dünnen Kordel verschnürt. Gerda hatte die Tür geöffnet. Empfänger und Absender waren in einer ordentlichen Handschrift geschrieben, die sie auf Anhieb wiedererkannte.
»I nimms net« , sagte sie an Udo, den Postboten, gewandt. Das nehme ich nicht an.
»Aber es ist doch für Eva …«
»Ich bin ihre Mutter und weiß, dass sie es nicht haben will.«
Ob sie sich da wirklich sicher sei, wollte Udo sie fragen. Doch sie richtete den Blick ihrer hellblauen, länglichen Augen auf ihn und schaute ihn reglos an. Da schwieg er. Stattdessen zog er einen Stift aus der Brusttasche und holte ein Formular aus seiner Ledertasche hervor. Ohne sie anzusehen, reichte er ihr beides.
»Dann unterschreib hier.«
Gerda tat es und fragte dann, mit einem Mal fast zärtlich besorgt:
»Was geschieht denn jetzt mit diesem Päckchen?«
»Ich nehme es wieder mit zum Postamt und gebe an, dass du es nicht haben wolltest …«
»Dass Eva es nicht haben wollte.«
»… und dann schicken sie es zurück.«
Udo verstaute das Päckchen wieder in der Ledertasche, faltete das Formular zusammen und sortierte es zwischen anderen Blättern ein. Dann steckte er den Stift in die Brusttasche zurück, prüfte, ob sie auch richtig zu war, und machte Anstalten zu gehen. Sein Oberkörper begann bereits, sich Richtung Straße zu wenden, und seine Füße würden ihm im nächsten Augenblick folgen, als ihm noch einmal Bedenken kamen.
»Wo ist Eva eigentlich?«, fragte er.
»Eva schläft.«
Und so reiste das braune Päckchen den ganzen weiten Weg, den es bis zu ihnen genommen hatte, wieder zurück:
zweitausendsiebenhundertvierundneunzig Kilometer insgesamt, einmal hin und einmal her.
Km 1397
Liebe Sisiduzza,
heute wirst du sechzehn Jahre alt.
Das ist ein wichtiger Tag.
Alle deine Geburtstage sind wichtige Tage für mich, und auch wenn ich dich nicht mehr wiedersehen konnte, habe ich keinen einzigen davon vergessen.
Das Hotelzimmer hat einen Fußboden aus Marmorfliesen und schwammgetünchte Wände, an denen oben unter der Decke ein Fries aus Blüten und Früchten entlangläuft. Die Nacht ist still, ich liege auf dem Bett, gegen das metallene Kopfteil gelehnt, der Walkman läuft.
Aus vielerlei Gründen haben deine Mutter und ich nicht heiraten können. Ich weiß nicht, ob sie mit dir darüber gesprochen, ob sie es dir erklärt hat, aber das ist jetzt auch nicht so wichtig. Es ist alles so gekommen, wie es gekommen ist, und die Zeit lässt sich nun mal nicht zurückdrehen. Ich möchte aber, dass du weißt, dass du für mich nicht nur … Gerdas Tochter bist. Du bist auch meine Sisiduzza, und ich habe dich sehr, sehr lieb, und daran hat sich nie etwas geändert, obwohl ich dich schon viele Jahre nicht mehr gesehen habe.
Auf die vielen Briefe, die ich dir geschrieben habe, hast du mir nie geantwortet. Ich kann das verstehen und will dir auch bestimmt keine Vorwürfe machen, du warst ja noch so klein. Was hättest du mir auch schreiben können? Wahrscheinlich warst du wütend auf mich, und dazu hattest du auch allen Grund. Aber jetzt bist du ein junges Mädchen, und damit könnte sich etwas ändern. Wenn du möchtest, würde ich mich freuen, wenn wir uns häufiger schreiben, vielleicht auch hin und wieder miteinander telefonieren. Du könntest mir erzählen, was so in deinem Leben passiert, zum Beispiel, wie es auf dem Gymnasium in der Oberstufe läuft. Ich weiß, dass du immer fleißig und intelligent warst, und es würde mir Spaß machen zu verfolgen, was du lernst, und dich auf deinem Weg zu begleiten. So besonders gebildet bin ich ja selbst nicht, aber ich muss dir ja auch keinen Stoff beibringen, dafür hast du deine Lehrer. Du sollst nur wissen, dass du immer auf mich zählen kannst.
Jetzt, da du zur Frau wirst, ist es meiner Ansicht nach wichtig für dich, jemanden zu haben, der für dich da ist, wichtiger noch als früher, als du ein kleines Mädchen warst. Sicher, du hast deine Mutter, die dich sehr liebt und immer alles für dich getan hat, was sie tun konnte, auch als die Lage für sie sehr … schwierig war.
Eine lange
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