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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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fragte ihn danach. Den nächsten Sommer blieb er die ganze Saison über in der Schweiz. Dort verdingte er sich als Almhirt und besserte seine Einkünfte durch den Verkauf von Jagdtrophäen, hauptsächlich von Gämsen, auf. Einmal hatte er Glück und erwischte einen Steinbock. Seine Kunden waren zumeist deutsche Touristen. Die wenigen Italiener, die sich in diese Gegend verirrten, hatten an Trophäen kein Interesse.
    Gerda war zwölf, als ihr Bruder sie eines Tages im November fragte, ob sie mit nach Bozen komme. Dort gebe es ein großes Fest, sagte Peter, die Straßen seien voller Menschen wie bei dem Kirschta .
    Ein Ausflug! So etwas kannte sie gar nicht. An manchen Sonntagen waren auf der Provinzstraße, die an Schanghai entlangführte, Autos, Pferdewagen oder Gruppen von Fahrradfahrern unterwegs, und Gerda hörte die Leute singen und lachen. Auch die Kollegen ihres Vater luden an Sommersonntagen ihre Familie und Freunde auf den Lastwagen und fuhren mit ihnen zum Picknick an den Fluss, der in den vergletscherten Bergen entsprang, oder zu den Wiesen bei der Einmündung des Tales. Wenn der Wind Gerda den Duft von Grillwürstchen, Musikfetzen oder Gelächter zutrug, überkam sie eine große Sehnsucht nach der Unbeschwertheit dieser Fremden. Hin und wieder konnte man auch an einem Fest teilnehmen. Am Ende des Sommers wurden auf dem großen Hof zwischen den höher gelegenen Häusern von Schanghai die frisch geernteten Maispflanzen aufgeschichtet, von denen in Handarbeit die langen, lanzettförmigen, scharfkantigen Blätter abgerissen wurden, mit denen man dann Matratzen füllen konnte, die immerhin eine ganze Wintersaison hielten. Mit Liedern und Scherzen untermalten Tagelöhner und Bäuerinnen die Arbeit, und wenn dann am Abend in einer Ecke des Hofes der Blätterberg höher als die Haustüren aufragte, begann man zu den Klängen von Zithern und Akkor deons zu tanzen. Die Bewohner Schanghais strömten zusam men, die einen brachten eine Flasche Obstwein mit, andere ein Stück Speck, wieder andere Stühle für die älteren Leute. Alle waren dabei, nur Familie Huber nicht. Hörte Hermann, wie gesungen wurde an solch klaren, nach Heu duftenden Sommerabenden, verfinsterte sich seine Miene. »Manche können es sich eben leisten zu feiern«, sagte er dann, »aber ich muss morgen arbeiten.« Und damit ging er zu Bett.
    Gerda wusste nicht, wie das Lachen ihres Vaters klang. Dagegen erinnerte sie sich noch sehr genau an den Moment, als sie ihre Mutter zum letzten Mal hatte lachen hören. Beim Putzen war ihr ein Eimer mit Seifenlauge auf dem Küchenfußboden umgekippt, und Hermann war darübergelaufen und ausgerutscht. Der Anblick, wie ihr ungelenker Ehemann mit einem lauten Plumps auf dem Hosenboden landete, bereitete Johanna Vergnügen, und Gerda erinnerte sich lange noch an das leise, von Zuckungen und Schluchzern unterbrochene Lachen, das ihren dünnen Oberkörper schüttelte. Hermann sagte nichts, forderte sie nicht auf, damit aufzuhören, beschimpfte sie nicht, machte sich nicht seinerseits über sie lustig. Doch warf er ihr, als er aufstand, einen Blick voll solch tiefer Verachtung zu, dass Johanna das Lachen auf den Lippen erstarb, ähnlich einer Feldblume, die von einem glühenden Holzscheit berührt wird. Solange sie lebte, hörte Gerda ihre Mutter nie mehr lachen.
    Auch Peter, diesen zehn Jahre älteren Bruder, kannte Gerda nur wenig, er war ihr kaum vertraut. Getrennt durch Alter und Geschlecht, hatten sie kaum Zeit miteinander verbracht – jedenfalls viel weniger als mit den Vettern – und sich nie viel zu sagen gehabt. Unter einem Dach zusammengelebt hatten sie und vom selben Brot gegessen. Mehr aber auch nicht.
    Eigentlich war er zu einem stattlichen, gut aussehenden Mann herangewachsen, aber sein Auftreten war so blass und verhuscht wie das seiner Mutter. Seine Gesten waren weniger unsicher als vielmehr verstohlen, wie die eines Jägers auf der Lauer. Von Johanna hatte er auch die dunkelbraunen Augen, die kein Licht reflektierten, und in seinem Blick lag etwas Trübes, das Gerda als kleines Mädchen fast Angst machte. Nun, da er erwachsen war, ähnelte Peter seinem Vater Hermann überhaupt nicht mehr, außer wenn er etwas sagte – also, wie der Vater, fast nie, und wenn es nicht anders ging, dann mit halb geschlossenem Mund. So, als seien die Worte etwas Kostbares, von dem man sich nur schweren Herzens trennte.
    Peter hatte niemals einen Freund nach Hause mitgebracht, und das Mädchen, das er heiraten wollte,

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