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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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wartete ruhig, zeigte keine Anzeichen von Ungeduld, ließ es geschehen, dass die Menge nach Herzenslust diesen Vertreter der italienischen Regierung auspfiff.
    Eine Minute verging. Die Pfiffe hörten nicht auf.
    Zwei Minuten. Die Carabinieri und Soldaten, die vor dem Podium eine Absperrkette gebildet hatten, begannen sich anzuschauen, als würden sie sich fragen, wie sie reagieren sollten.
    Drei Minuten. Die Pfiffe gegen den Minister, dem die Uniformierten unterstanden, schienen nicht abklingen zu wollen. Gerda riss einen Grashalm aus, staubig und von unzähligen Füßen zertreten, und führte ihn an die Lippen. Es war jene Geste, bei der sie auch John Gallagher aus Leeds, United Kingdom, damals beobachtet hatte. Sie blies über den zwischen den Daumen gespannten Halm und brachte einen schrillen Pfiff hervor. Da drehte sich Peter zum zweiten und letzten Mal an diesem Tag und in seinem ganzen Leben zu ihr um und lächelte sie zufrieden an.
    Vier Minuten. Bei den jüngsten Carabinieri begannen die Hände Schweißränder auf den MP-Griffen zu hinterlassen. Mit zufriedener Miene blickte der Mann auf dem Podium auf Zehntausende pfeifender Menschen hinunter. Er hatte es nicht eilig, mit seiner Rede fortzufahren, sondern nutzte die Unterbrechung, um sich über den Zulauf zu dieser von ihm organisierten Veranstaltung klar zu werden. Er konnte wirklich zufrieden sein. Vor ihm, Silvius Magnago, war an diesem 17. November 1957 bei der Burg Sigmundskron eine Menge von mindestens dreißig-, vierzigtausend Menschen versammelt. Bei einer Südtiroler Gesamtbevölkerung von gerade mal dreihunderttausend Seelen war das mindestens jeder Zehnte. Wie Gerda und Peter hatten sie sich in tiefster Nacht mit Lastwagen, Bussen, Autos, Motorrädern oder Traktoren auf den Weg gemacht. Sie kamen aus der Umgebung von Bozen, aus dem nahen Überetsch, aber auch aus den weiter entfernten Regionen: dem Ahrntal, dem Passeiertal, dem Martelltal, dem Gsiesertal, aus Schlanders oder dem Vinschgau. Aus Gegenden, in denen man im Dialekt oans, zwoa … zählte, oder anderen, wo man aans, zwa … sagte. Und jetzt pfiffen sie und pfiffen, als wollten sie nie mehr damit aufhören.
    Fünf Minuten. Die Carabinieri blickten zu ihren Vorgesetzten hinüber.
    Der hagere Mann auf dem Podium holte Luft und öffnete den Mund. Er schien nun doch weiterreden zu wollen, und augenblicklich verstummte die Menge.
    Silvius Magnago erinnerte an den Kanonikus Gamper aus Brixen, den bereits von Faschisten und Nationalsozialisten verfolgten Geistlichen, der einige Monate zuvor ausgerufen hatte: »Es ist ein Todesmarsch!« Einem Todesmarsch für Südtirol würde es seiner Meinung nach gleichkommen, wenn sich nichts Grund legendes änderte: an der forcierten Einwanderung aus Süditalien, der Stellenverweigerung für Einheimische, an deren Verarmung und Auswanderung. Bald schon würden die Südtiroler nur noch eine Minderheit im eigenen Land sein, um irgendwann ganz aus der Geschichte zu verschwinden.
    Er kämpfe, versprach Magnago, der Vorsitzende der Südtiroler Volkspartei, der Partei der deutschsprachigen Südtiroler also, für eine Autonomie ihrer Provinz ohne Zusammenschluss mit einer anderen italienischsprachigen Provinz, wie er zurzeit mit Trient bestehe. Für eine echte Autonomie also kämpfe er, die es den Südtirolern ermöglichen sollte, das Geschick ihrer Heimat wieder selbst in die Hand zu nehmen.
    »Los von Trient! Los von Trient …« , rief er zum Schluss der Menge entgegen, einmal, zweimal, immer wieder. Los von diesem mehrheitlich italienischen Gebiet also, in dem die Deutschsprachigen als ungeschützte Minderheit lebten. Der Beifall der Zuhörer umtoste ihn und schien kein Ende zu nehmen.
    Da plötzlich hörte man, wie oben auf dem Turm knatternd ein großes Tuch entfaltet wurde. Alle blickten hinauf. Zwei junge Leute hatten sich in die Burg geschlichen, lehnten nun in einer Schießscharte und entrollten eine lange weiß-rote Fahne. Die Tiroler Flagge zu hissen stand nach dem italienischen Gesetzbuch immer noch unter Strafe. Es war eines der faschistischen Gesetze, die abzuschaffen sich niemand die Mühe gemacht hatte. Ein Grüppchen Carabinieri rannte zum Turm, doch bevor die beiden festgenommen werden konnten, begannen sie zu rufen:
    »Los von Rom!«
    Peter und einige andere, meist junge Männer stimmten ein: »Los von Rom!«
    Mit anderen Worten: keine von Politikern verabredete Autonomie, keine Verhandlungen, keine Kompromisse. Ihnen war es zu wenig, sich nur

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