Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
weiterhin auf Italienisch.
So war es Johanna, die Peter half, die erforderlichen Papiere zusammenzustellen – Führungszeugnis, Musterungsnachweise, Gesundheitszeugnis –, und die ihn zu den verschiedenen Ämtern begleitete.
Kein Formular, keine Bestimmung, kein Schild war auf Deutsch geschrieben, kein Beamter sprach oder verstand Deutsch. Die Tat sache, dass die Menschen, die das Amt aufsuchten, alle deutschsprachig waren, interessierte hier niemanden. Anträge waren in fehlerfreiem Italienisch einzureichen, oder man lief Gefahr, noch einmal ganz von vorn anfangen zu müssen. Für Johanna war es eine Qual, sich mit diesen abweisenden Beamten in einer Sprache auseinanderzusetzen, die nicht die ihre war, doch schließlich hatte sie alle notwendigen Bescheinigungen beisammen. Dann bügelte sie ihrem Sohn noch den Sonntagsanzug, und an einem Montag in der Früh bestieg Peter den Bus in die Provinzhauptstadt.
Einige Wochen blieb er in Bozen, wo er bei einer entfernten Cousine seiner Mutter unterkam, in einer engen Behausung mit vier kleinen Kindern zwischen zwei und acht Jahren. Nachts konnte er dort auf dem Boden neben dem Ofen schlafen, aber tagsüber musste er fort. Es waren gerade die Tage der drei Eismänner, der Eisheiligen in der Mitte des Frühjahrs, dem letzten Aufbäumen des Winters, und die Luft war frostig. Peter fehlte das Geld, um sich in einem Gasthaus aufzuwärmen, und so brachte er die Nachmittage im Wartesaal des Bahnhofs zu.
Dort sah er sie aus den Zügen steigen, Männer, wie sie, was Peter nicht wusste, in jenen Jahren auch in Turin, in Lüttich oder Düsseldorf eintrafen, mit sizilianischen Schirmmützen, den coppole , auf dem Kopf, und karierten Jacketts. Meist trugen sie Kartons, die mit Bindfäden verschnürt waren, selten nur Lederkoffer. Hin und wieder war auch eine Frau darunter, meist zwischen zwanzig und dreißig, selten älter, mit vollem schwarzem Haar. Sie stiegen entweder allein aus dem Zug oder aber mit drei, vier Kindern an der Hand und wurden immer von einem Mann abgeholt, der so aussah wie diejenigen, die soeben allein eintrafen, nur war sein Gesicht etwas weniger gezeichnet, etwas weniger ängstlich: das Gesicht eines Mannes, der Arbeit gefunden hatte und der nun bereit war für die Last und die Ehre, Familienoberhaupt zu sein.
Diesen Einwanderern aus Süditalien hatte zu Hause niemand erklärt, in was für eine Gegend sie aufbrachen. Niemand in den Arbeitsämtern von Enna, Matera oder Crotone, wo die Bozener Unternehmen neue Arbeitskräfte gewannen, dachte daran, den Auswanderern zu sagen, dass die Menschen, unter denen sie in Zukunft leben würden, Deutsch sprachen und keine Spaghetti aßen und auch keine Polenta, ein im Grunde ja noch italienisches Gericht, sondern Speisen, die sie Knödel, Schlutzkrapfen oder Spatzlan nannten. Schließlich gehörte dieser Landstrich zu Italien. Und mehr musste so ein Auswanderer auch nicht wissen.
Als Peter in seinem sauberen und frisch gebügelten Sonntags anzug in Bozen eingetroffen war, begab er sich sogleich zum Personalbüro des Stahlwerks und gab dort seine Bewerbung und die mühsam besorgten Bescheinigungen ab. In den folgenden Tagen suchte er dann noch Lancia auf, das Personalbüro der Eisenbahn und schließlich sogar die Straßenverwaltung ANAS: Ein Leben als Straßenkehrer war zwar nicht das, wovon er träumte, aber immer noch besser, als ohne Arbeit dazustehen.
Auf keine seiner Bewerbungen erhielt er eine Antwort. Doch es dauerte eine Weile, bis Peter begriff, was dahintersteckte. Das Wirtschaftswunder des Industriestandorts Bozen mit seinen Sozialwohnungen und seinen fast anständigen Löhnen war nur für Italiener gedacht. Nicht, dass man deutschsprachige Arbeitskräfte von vornherein ausgeschlossen hätte. Sie waren nur einfach nicht vorgesehen.
Gewiss, in den Südtiroler Schulen durfte wieder Deutsch unterrichtet werden, und neue »Katakombenschulen« waren nicht notwendig, damit Schüler und Lehrer in ihrer eigenen Sprache reden und lernen konnten. Anders als Mussolini versuchte die neue Republik Italien nicht, alles Deutsche in Südtirol auszumerzen. Nein, es war eine andere Haltung, die man jetzt in dieser Frage einnahm. Man tat einfach so, als gäbe es sie überhaupt nicht.
Schließlich kehrte Peter nach Hause zurück. Johanna durchfuhr der Schrecken, als sie sah, wie schäbig sein Anzug aussah: Drei Wochen lang hatte er ihn nicht ausgezogen. Warum er keine Arbeit finden konnte, erklärte Peter nicht, und niemand
Weitere Kostenlose Bücher