Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
von Trient zu lösen. »Fort von Rom«, war die Parole. Fort von Italien.
Magnago presste die dünnen Lippen zusammen, während die jungen Aktivisten von den Carabinieri abgeführt wurden.
Ein gutes Jahr später wurde das Alpinodenkmal in dem Städtchen, in dem die Hubers lebten, erneut Ziel eines Anschlags. Dieses Mal blieb es nicht bei weißer und roter Farbe, jener beinahe harmlosen, an einen Studentenstreich erinnernden Provokation. Nein, nun war es Dynamit, das den Sockel zerriss. Der granitene »Wastl« aber blieb fast heil; der Sprengsatz hatte nicht richtig gezündet.
An diesem Tag hielt sich Peter in einem Nebental auf und half seinem Vater, Holz zu verladen. Nachdem er nun schon ein Vierteljahrhundert Lastwagen fuhr, hatte Hermann Rückenschmerzen, und er brauchte die Hilfe seines Sohnes, auch wenn das einen Verzicht auf das zusätzliche Geld bedeutete, das Peter mit einer anderen Arbeit hätte nach Hause bringen können. Als sie an diesem Abend heimkehrten, verlor Johanna kein Wort darüber, was dem »Wastl« am Morgen zugestoßen war. Ihr reichte die Gewissheit, dass ihr Sohn dieses Mal nicht dabei gewesen sein konnte, worüber sie große Erleichterung empfand.
An einem Junitag einige Jahre später stellte sich ein Mann aus Meran im Haus der Familie Huber vor. Er war daitsch , fluchte aber auf Italienisch. Mittlerweile fluchten sie ja alle italienisch, die Südtiroler, selbst in den eigenen vier Wänden: Sie riefen nicht mehr Vofluicht oder Scheisszoig , sondern Madoja , Ostia , Porco zio, oder auch, zur Freude der vergleichenden Sprachwissenschaftler, Porzelona. Das mochte damit zu tun haben, dass viele, so wie Hermann, zur Zeit Mussolinis Vorhaltungen oder auch Schläge einstecken mussten, wenn ihnen ein Ausruf in deutschem Dialekt entfahren war, sodass man auch zu Hause lieber auf Italienisch fluchte, um es zur Gewohnheit werden zu lassen. Allerdings mochte auch die leise Hoffnung dahinterstecken, ihr daitscher Gott sei vielleicht in Fremdsprachen nicht sehr bewandert und werde einen walschen Fluch möglicherweise nicht richtig verstehen und weniger übel nehmen. Doch wie man das Verhalten auch deutete, fest stand jedenfalls, dass die einstimmige Annahme italienischen Fluchens durch die deutschsprachige Bevölkerung das Einzige war, was sich von der Zwangsitalianisierung, wie der Faschismus sie betrieben hatte, bleibend durchsetzen konnte.
Der Mann aus Meran war gekommen, um Hermann mitzuteilen, dass er dessen jüngster Tochter eine Stelle in der Küche eines großen Hotels anzubieten habe. Schon bald nach dem Krieg waren die Touristen nach Südtirol zurückgekehrt, und wer Arbeit suchte, fand sie meist an der neuen Grenze des Tourismus, den Tälern der Dolomiten. In den großen Hotels, die noch in der Vorkriegszeit in den Heilbädern des Etschtals gebaut worden waren, wurde daher das Personal knapp. Der Mann bot Gerda ein ordentliches Gehalt an, Kost und Logis sowie die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen: Köchin.
Wer weiß, wäre Hermann nicht ein verschüchterter Knecht gewesen, der sich aus Kummer in die Hose machte, hätte er nicht in düstersten Optionszeiten die Tore mancher Höfe mit Exkrementen beschmiert, hätte er bei der Frau, die er heiraten wollte, nicht Ergebenheit, sondern Liebe gesucht, hätte er an der Ostfront nicht Dinge getan und erlebt, über die ein Mantel des Schweigens ausgebreitet wurde, hätte Hermann also nicht vor langer, allzu langer Zeit schon alle Liebe verloren, dann wäre ihm vielleicht jetzt in den Sinn gekommen, dass die harten Jahre vorüber waren und dass seine Familie nicht mehr in Armut lebte; dass sein Lastwagen genug einbrachte, um seine Kinder ernähren und kleiden zu können, wenn auch nicht im Überfluss. Darüber hinaus musste er aus vielen Erzählungen eigentlich genau wissen, was seine Tochter erwartete, wenn er sie mit diesem Mann gehen ließ – nicht zufällig wurden die jungen Küchenmädchen »Matratzen« genannt.
Und dann hätte er dem Mann gesagt: Wort a mol , Moment mal. Und er hätte ihm erklärt: Des Madl will i net weggian lossn , das Mädchen lasse ich nicht fort, im Gesicht ist sie zwar noch ein Kind mit ihren rundlichen Wangen, aber ihr Körper wird immer weiblicher, sie hat schlanke Beine, und sie ist schön, nein, wunderschön ist sie, genau wie ihre Großmutter früher, aber sie selbst weiß das noch nicht, und deshalb muss ich sie beschützen, wie nur ich als ihr Vater das kann und muss. Vielleicht nehme ich sie mit zum Tanzen
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