Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
am Kirschtà im Sommer, dann können alle Burschen sehen, wie begehrenswert sie ist, aber auch, wie wachsam und aufmerksam ihr Vater aufpasst, der niemals zulassen wird, dass man ihr zu nahe tritt, und deshalb sage ich dir: Nein, ich geb sie dir nicht mit, denn ich will nicht, dass sie im Hotel für die Fremden arbeitet und »Matratze« genannt wird.
Was Hermann aber tatsächlich sagte, war: »Passt.«
Und Gerda, die gerade mal sechzehn war, machte sich auf den Weg.
Die Fahrt zu dem Kurort, in dem sie arbeiten sollte, war nicht lang, aber kompliziert. Am Bozener Bahnhof angekommen, blickte sie sich ratlos um. Überall um sie herum Stimmen, die italienisch sprachen; es kam ihr so vor, als seien nur Menschen mit dunkler Gesichtsfarbe unterwegs. Aber schließlich war dies auch die Stadt, in der vor Peters Augen einige Jahre zuvor die Einwanderer aus Süditalien eingetroffen waren.
Sie musste den Bus nach Meran nehmen, aber der Busbahnhof lag noch ein Stück entfernt. Vom Bahnhofsvorplatz führte eine breite Allee in die Stadt hinein. Die lief sie nun entlang, den Zettel fest in der Hand, auf dem der Mann den Namen des Hotels aufgeschrieben hatte, in dem sie anfangen sollte. Die blühenden Rosskastanien verströmten einen intensiven Duft. Der Mann hatte ihr gesagt, sie solle der Allee folgen und unge fähr in der Mitte nach links abbiegen. Mit unsicheren Schritten, berauscht vom Duft der Blütentrauben über ihr, den Griff des kleinen Koffers mit ihren wenigen Sachen fest in der Hand, lief sie über das Pflaster. Sie fand den Busbahnhof und trat auf einen der Fahrer zu, wagte es dann aber doch nicht, ihn anzusprechen, weil sie sich für ihr schlechtes Italienisch schämte.
»Schnell! Der Bus Richtung Meran fährt jetzt!«, hörte sie da jemanden einem älteren Ehepaar, offenbar Touristen aus Deutschland, zurufen. Sie rannte ihnen nach zu einem Bus, der bereits mit laufendem Motor wartete, und stieg ein. Sie hatte Glück: Im nächsten Moment schloss der Fahrer die Türen und fuhr ab.
Km 0–35
Ich rufe meine Mutter an, um ihr zu sagen, dass ich nicht zum Ostermittagessen kommen kann. Das heißt, ich werde auf all die Köstlichkeiten verzichten müssen, die sie und meine Patin Ruthi schon seit einer Woche vorbereiten. Aber sie wird mich auch nicht wieder der ganzen Sippe vorführen können und die Komplimente einheimsen für ihre schöne und tüchtige Tochter – schade nur, dass sie nie geheiratet hat (zu meiner großen Erleichterung haben sie seit einiger Zeit das frühere »noch nicht« durch dieses »nie« ersetzt, ein Fortschritt, den ich meinen vierzig Lebensjahren zu verdanken habe).
»Ich muss verreisen«, erkläre ich ihr, »es ist dringend.«
Bisher habe ich mir noch nie ein Feiertagsessen entgehen lassen. Wenn ich jetzt absage, muss es sich also um etwas Dringendes handeln. Tatsächlich zwingt meine Mutter mich nicht zu näheren Erklärungen und fragt nur: »Kenne ich ihn?«
Die Möglichkeit, dass meine Absage vielleicht nichts mit einem Mann zu tun haben könnte, zieht sie gar nicht in Betracht.
Ich schaue auf die Gletscher in der Ferne oder genauer auf das, was in Zeiten des Klimawandels davon übrig geblieben ist.
»Kann sein«, antworte ich, und sie hakt nicht nach.
Keine Chance, einen Tag vor Ostern einen Flug nach Kalabrien zu erwischen. Ich rufe bei allen Fluggesellschaften an, dann an den Flughäfen in Bozen, in Verona, Venedig, Mailand, München, Innsbruck und Brescia. Stundenlang versuche ich es auch übers Internet. Nichts. Den nächsten freien Platz könnte ich in einer Maschine nach Reggio Calabria in zwei Tagen buchen, das wäre nach Ostermontag. Das könnte zu spät sein für Vito. So bleibt mir nur eine Möglichkeit: Liegewagen bis nach Rom und von dort aus weiter, ebenfalls mit der Bahn, runter nach Kalabrien. Eine lange Fahrt.
Und so sitze ich nun im Bummelzug, der mich zunächst einmal nach Fortezza/Franzensfeste bringen wird. Über den Sitzen an der hinteren Wand des Abteils hängt ein Plakat des Deutschen Kultur- und Familienamts, der zuständigen Behörde für familiäre und kulturelle Angelegenheiten der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols, nicht zu verwechseln mit dem rigoros davon getrennten Amt mit den exakt gleichen Aufgaben für die Italiener. Es informiert über Weiterbildungsangebote für Erwachsene in der Provinz Bozen. Auf einem Foto sieht man einen Mann im blauen Overall in einem Raum, unter dem man sich wohl seine Werkstatt als Mechaniker, Kfz-Elektriker oder
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