Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
war es dringend notwendig, dass er sich mit den Geschäftsmodellen der renommiertesten Skigebiete der Welt vertraut machte. Wie Hannes selbst dazu stand, erfuhr Gerda nie. Als sie vom Hotel aus bei ihm anrief, um ihm von der Schwangerschaft zu erzählen, war er bereits abgereist. Die höfliche Stimme seines Vaters riet ihr, es in sechs Monaten noch einmal zu versuchen.
Einige Tage verharrte Gerda in einem Zustand bloßen Erstaunens. Man hätte nicht sagen können, dass sie ihre Arbeit vernachlässigte. Sie wusch, zerteilte, schnitt, klopfte, rieb, knetete, rührte, schlug auf, hackte – alles wie immer. Und sie arbeitete auch nicht weniger gewissenhaft als sonst. Sie ließ keine Soßen anbrennen, keine Pasta verkochen, schnitt kein Gemüse julienne statt brunoise oder umgekehrt. Auch ihren Arbeitsplatz hinterließ sie abends stets ordentlich und sauber, was man von ihren männlichen Kollegen nicht behaupten konnte. Sie war überzeugt: Wenn sie es einfach nicht zur Kenntnis nahm, würde es wieder verschwinden, ohne große Spuren zu hinterlassen, so wie auch höchstens eine winzige Narbe zurückblieb, wenn man sich mit einem Spritzer Öl verbrannte und den Schmerz ignorierte. Sie glaubte weiter fest an eine Zukunft mit Hannes, aber das verlangte solch eine Konzentration, dass sie alle überflüssigen geistigen Aktivitäten unterlassen musste: mit den anderen Hilfsköchen zu reden, zu grüßen, auf nicht dringliche Aufforderungen einzugehen.
Und während sie intensiv, ja wild entschlossen diese Überzeugung nährte, schwollen ihre ohnehin schon vollen Brüste unter der Schürze täglich weiter an. Als habe sie es nicht mit einer, sondern gleich zwei Schwangerschaften zu tun, und das auch nicht im Bauch, denn der war weiterhin völlig flach, sondern in ihrem Busen.
Mehrmals am Tag, meistens morgens, musste sie in die Toilette fürs Personal rennen und sich übergeben. Mit bläulichen Ringen unter den Augen, die Lippen blass, die Wangen noch nass von dem eiskalten Wasser, das sie sich ins Gesicht geschaufelt hatte, kehrte sie in die Küche zurück und nahm mit bemüht sachlichem Blick die Arbeit wieder auf. Ihr Schweigen verbot den Küchenjungen, Köchen und Kellnern jede Bemerkung, jeden indiskreten Blick. Doch obwohl sie so voller Selbstdisziplin und Entschlossenheit die Wirklichkeit verleugnete, rief weder Hannes an, um ihr zu sagen, dass er sie liebe und bald heiraten werde, noch verschwand ihre Schwangerschaft. Und Gerda begriff: Die Gewissheit zu kultivieren, dass sie vorübergehen würde, reichte nicht mehr aus.
An einem Abend nach Schichtende, als auch der Küchenjunge Elmar schon schlafen gegangen war und sich die Hotelgäste auf der Terrasse den letzten Drink des Tages gönnten, ging Gerda von der leeren Küche zur Speisekammer hinüber. Wohl durchdacht gestapelt, damit es keine Druckstellen gab, standen da die Kisten mit dem Spargel aus Rovigo, dem Radicchio aus Treviso und dem Kopfsalat von den heimischen Bauern. Doch dafür interessierte Gerda sich jetzt nicht. Stattdessen nahm sie sich einen Bund aus der für die Gewürzkräuter reservierten Ecke, aber weder Schnittlauch noch Salbei oder Majoran, dann noch eins und wieder eins, und trug das ganze Grünzeug auf beiden Armen zur Küche hinüber. Dort legte sie es auf dem großen Schneidbrett ab und begann zu essen. Ihre Lippen wurden grün, und bald schon steckten überall Blättchen zwischen ihren Zähnen, aber sie hörte nicht auf, einen Stängel nach dem anderen aus dem Bund zu reißen, sich in den Mund zu stopfen und darauf herumzukauen wie die Kühe, die sie in jenen so lange zurückliegenden glücklichen Sommern gehütet hatte. Ein Rand hatte sich um ihren Mund gebildet, und sie wischte mit dem Handgelenk darüber – es war die gleiche Geste, mit der ihr Vater Hermann sich als Junge die Milchreste von der Oberlippe gewischt hatte, nur dass ihr Schnurrbart nicht elfenbeinfarben, sondern grün aussah wie die Blättchen, die sie, Stängel um Stängel, Bund um Bund, kaute und hinunterschluckte.
Irgendwann betrat Elmar die Küche, um sich, wie so oft, noch einen Schluck von dem Brandy oder Marsala oder einem der anderen Liköre auf dem Regal mit den Gewürzen und Gewürzsoßen zu genehmigen. Zunächst schuldbewusst, dann verwundert starrte er sie an mit seinem Gesicht, so lang und violett wie eine Aubergine.
»Wos tuaschn?«
»Ich mache grüne Soße«, antwortete Gerda mit ihrem in der Tat grünen Mund, ohne die Augen niederzuschlagen angesichts
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