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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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das Licht. Nur wenn sich der Zug in den Kurven neigt, sehe ich die Straßenlaternen draußen. Ansonsten erkenne ich nur ihren rötlichen Widerschein an den blassen Felswänden des Etschtals, die dadurch ein eigenes diffuses Licht abzugeben scheinen.
    FROHES AUFERSTEHUNGSFEST!
    HERZLICHE GLÜCKWÜNSCHE, DOCH NUR DEN SCHÖNSTEN!
    ALLES GUTE, LIEBE FREUNDIN
    HAPPY EASTER!
    Es ist tiefe Nacht, doch nicht alle meine Freunde führen ein Leben, in dem die Tageszeit so eine große Rolle spielt; außerdem wohnen manche auch in anderen Zeitzonen. So erhalte ich laufend SMS mit Ostergrüßen: unchristlich oder fromm, ironisch oder liebevoll. Das Display des Handys in meiner Hand leuchtet jedes Mal auf, und einige Sekunden lang erscheint dann, von seinem bläulichen Licht erhellt, mein Spiegelbild auf der Fensterscheibe.
    FROHE OSTERN, MEINE LIEBE.
    Carlo. Ich lasse den Finger auf der Taste, sodass das Display nicht erlischt. Mein etwas gespenstisch wirkendes Spiegelbild schiebt sich vor die nächtliche Landschaft, die draußen vorbeirast, vor die schwach leuchtenden Felswände, vor das sternengetüpfelte Dunkel. Auch über Kirchen huscht mein Gesicht und über Burgen, von denen es in unserer Gegend so viele gibt, jede ein Kleinod von historischer oder kunsthistorischer Bedeutung, deren Namen ich aber kaum kenne (es sei denn, ich habe dort einmal eine meiner mondänen Veranstaltungen organisiert).
    Plötzlich das Licht und der Lärm eines Tunnels: Wir unterqueren den letzten Ausläufer der Voralpen und lassen das Etschtal hinter uns.
    In wenigen Minuten werden wir die Poebene erreicht haben. Aussi . Gleich bin ich draußen.

1962 – 1963
    Paul Staggl war ein Unternehmer, dem viel daran lag, am Puls der Zeit zu sein. Er las die Dolomiten , aber auch die Süddeutsche Zeitung und den Corriere della Sera . Wenn von seiner Heimat die Rede war, ging es meistens um die »Südtiroler Frage«, um »Attentate« und »Bomben«, und das gefiel ihm nicht. Es war geschäftsschädigend, dass man in Italien immer nur in diesem denkbar schlechten Zusammenhang von Südtirol hörte. Und seine Sorgen wuchsen noch durch den Umstand, dass der Winter zu warm war dieses Jahr: schon Ende Dezember und kaum Schnee. Ausgerechnet jetzt, da die neue Seilbahn eingeweiht war, waren die Hänge noch übersät mit Steinen und trostlos braunen Flecken. Schon seit einiger Zeit dachte Paul über die Möglichkeit nach, die Schneeauflage der Pisten von der Wetterlage unabhängig zu machen. Er hatte gelesen, dass man in der Schweiz an der Herstellung von Kunstschnee arbeitete, aber noch handelte es sich um primitive Verfahren mit enttäuschenden Resultaten. Doch Pauls Vertrauen in den technischen Fortschritt war fast so groß wie sein Selbstvertrauen. Bisher war das Projekt im Entwicklungsstadium, aber dass ihm die Zukunft gehören würde, daran zweifelte er nicht.
    Paul war stets gut informiert – auch über das Mädchen, mit dem dieser Trottel von seinem Sohn etwas angefangen hatte, wusste er Bescheid. Die Beschäftigten der Seilbahn hatten ihm Bericht erstattet. Nun war aber Gerdas Vater der letzte Mensch im ganzen Tal, mit dem Paul verwandt sein wollte. Nicht, weil Hermann ein Rückkehrer war und in Schanghai wohnte, und ebenso wenig, weil ihn sein äußerst schwieriger Charakter jetzt bereits, mit noch nicht einmal sechzig Jahren, zu einem komischen Kauz gemacht hatte. Solche Leute gab es schließlich überall in den kleinen Städten in der Provinz. Hermann war nun mal ein schroffer, schweigsamer Mann, dem kein Lächeln zu entlocken war, selbst wenn man ihn dafür bezahlt hätte. Einmal hatte ihm tatsächlich ein Witzbold am Stammtisch im Wirtshaus, einer Wette wegen, einen ordentlichen Betrag geboten, wenn er nur einmal die Mundwinkel heben würde, und keiner der Anwesenden vermochte zu sagen, ob Hermann sich durch dieses Angebot gekränkt fühlte oder nicht: Sein finsterer, von Weltverachtung erfüllter Gesichtsausdruck blieb so, wie er immer war. Nein, für Paul bestand Hermanns Schuld lediglich darin, sein Klassenkamerad gewesen zu sein, in jener Zeit, als der Besitz von Grund und Boden an steilen Nordhängen noch nicht gleichbedeutend mit Skipisten und Touristen war, mit Zugseilvorrichtungen und Reich tum, sondern mit bitterer Armut.
    So beschloss Paul, dass es an der Zeit sei, sich um die berufliche Weiterbildung seines Sohnes zu kümmern. Er schickte ihn auf eine lange Studienreise, ins Engadin, nach Kärnten, Bayern und sogar Colorado, denn plötzlich

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