Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
Vom Netzwerk:
Nicht in herkömmlichen Särgen, sondern in eintürigen Schränken aus schönem Nussholz wurden die Toten aus dem Haus getragen, wodurch der ganze Vorgang nicht mehr wie eine Leichenüberführung, sondern wie ein Umzug aussah.
    Damit war der einzige Hotelgast, dessen Erholung gestört wurde, lediglich jener, Friede seiner Seele, dem sie ohnehin nichts mehr nützte.
    Die Familie Mayer besaß das Hotel seit den Zeiten, da der österreichische Adel in diesem südländischen Vorposten von Felix Austria, wo zwei Drittel des Jahres die Sonne schien, seine Brunnenkuren machte. Sogar der Kaiser höchstpersönlich, in Tirol unterwegs, um sich ein Bild von der militärischen Lage im Ersten Weltkrieg zu machen, hatte hier für eine Nacht Quartier bezogen. Und Frau Mayer hegte die vage Erinnerung an eine kaiserliche Hand, die sich, herrlich und unbehandschuht, auf ihre blonden Locken gelegt hatte. Ob es sich um eine echte Erinnerung handelte oder um eine oft gehörte Geschichte mit ihr, dem dreijährigen Mädchen, als Hauptperson? Sie wollte es gar nicht so genau wissen.
    Eigentlich war dem Erstgeborenen der Familie das Hotel zugedacht gewesen, während Irmgard, das einzige Mädchen und drittes von sechs Kindern, hätte leer ausgehen sollen. Auf diese Pläne der Familie Mayer hatte die Weltgeschichte jedoch keine große Rücksicht genommen.
    Julius, der älteste Bruder, war bereits im ersten Jahr des zweiten großen Weltgemetzels in Montenegro gefallen.
    Karl, der zweite, geriet bei El Alamein in Gefangenschaft und verbrachte den Rest des Krieges in einem Gefangenenlager in Texas. Da er sich dort aber, obwohl eigentlich kein großer Freund der nationalsozialistischen Ideen, geweigert hatte, seinen Treueeid gegenüber dem Oberkommando der Wehrmacht zu widerrufen, wie es die Amerikaner als Bedingung für die Freilassung von allen deutschen Offizieren verlangten, kehrte er erst drei Jahre nach Kriegsende, schwer krank, nach Hause zurück. Als Exnazi von seinen Mitbürgern in der Heimat gemieden, besonders von jenen, die selbst die schwarze SS-Uniform getragen hatten, verschied er bald aufgrund »allgemeinen körperlichen Verfalls«, wie der Hausarzt der Familie im Totenschein festhielt.
    Anton, der Viertgeborene, war in den dreißiger Jahren als kaum Zwanzigjähriger nach Brasilien aufgebrochen, um dort sein Glück zu machen, und hatte es in Gestalt einer Kaffeeplantage, einer Mulattin, die er zur Frau nahm, vielen Geliebten verschiedenster Herkunft und rund einem Dutzend Kinder auch gefunden. Zurückzu kehren, um in der Heimat das Hotel der Familie zu führen – daran verschwendete er keinen Gedanken.
    Stefan, der Fünftälteste, war 1919 dreijährig an der Spanischen Grippe gestorben.
    Josef, den Letztgeborenen, traf 1943 in Kalitwa an der Don-schleife südwestlich von Stalingrad die Kugel eines russischen Scharfschützen mitten in die Stirn.
    Um den gramgebeugten Eltern zu helfen, blieb nur noch eine übrig, und das war sie, die kleine Irmgard. Ihr Treuegelöbnis dem Gott des Hotelwesens gegenüber, das Frau Mayers gesamtes Leben prägte, war also das Resultat dynastischer Schicksalsschläge.
    Der einzige Angestellte, der sich Frau Mayers totaler Kontrolle zu entziehen wagte, war Herr Neumann. Immerhin entwarf er tagtäglich die Speisekarte, entschied über die Einkäufe und bezahlte die Lieferanten. Er hatte das uneingeschränkte Regiment in der Küche. Diese Sonderrolle hatten Herr Neumann und Frau Mayer schon bei seiner Anstellung, wenige Jahre nach Kriegsende, vereinbart.
    »Ein Chefkoch ist der Chef in der Küche, wie der Name schon sagt. Wie viel ich ausgeben kann, bestimmen Sie, aber was ich einkaufe und was die Gäste auf den Tisch bekommen, ist meine Sache. Sollten die nicht zufrieden sein, können Sie mir kündigen. Aber ich kann nur in einer Küche arbeiten, wo ich das Sagen habe. Also, entweder – oder …«
    Frau Mayer hatte sich für das »Entweder« entschieden und es in fast zwanzig Jahren nie bereut.
    Und als Herr Neumann sie nun darum bat, seine Hilfsköchin Gerda wieder einstellen zu können, erhob sie keinen Einwand. Gewiss, sie hatte Augen im Kopf und sah, wie schön dieses Mädchen war. Da lag der Verdacht nahe, dass die Hartnäckigkeit, mit der sich Herr Neumann für sie einsetzte, mit Gerdas Reizen zusammenhing. Doch sofort verscheuchte sie diesen Gedanken: Ihr Chefkoch hatte in seiner Küche bislang nur Leute geduldet, die wirklich hart arbeiteten, und Gerda bildete in dieser Hinsicht, außer als ihr

Weitere Kostenlose Bücher