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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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die Führung im Kampf zu übernehmen. Bis dahin sollten die Bauern nur brav weiter Unruhe stiften.
    Und so kam es, dass Peter, in einer Nacht mit abnehmendem Mond, im Graben entlang der Provinzstraße, sorglos mit Dynamitkerzen und Zündschnüren herumhantierte. Von den Gesichtern seiner Opfer, den jungen, wehrpflichtigen Carabinieri, die in ein paar Stunden an dieser Stelle vorüberfahren würden, entstanden keinerlei Bilder in seinem Kopf. Wenn er doch einmal an seine Ziele dachte, was aber selten geschah, kamen ihm Uniformen in den Sinn, Rangabzeichen, MPs, höchstens noch knappe Sätze in einer Sprache mit zu vielen Vokalen, die zum Anhalten aufforderten.
    Auch im Dunkeln arbeitete er mit geschickten Fingern. Seine glanzlosen Augen hatten noch nie viel Licht benötigt, um etwas erkennen zu können, und die Mondsichel, vor der die Wolken wie Figuren einer Laterna magica entlangzogen, strahlte hell genug für ihn. Die Kleeblätter, die er unter seinen Bergschuhen zertrampelte, verströmten einen säuerlich frischen Geruch.
    Er pflückte ein Pflänzchen und steckte es sich in den Mund. Ein beißender, scharfer Geschmack explodierte auf seiner Zunge, der Peter glücklicher machte, als er sich jemals in seinem Leben gefühlt hatte. Glücklicher als damals, als die Carabinieri ihn schon eingekreist hatten, er jedoch zu fliehen vermochte. Glücklicher als in der Hochzeitsnacht, als er in Lenis warmen Körper eingedrungen war. Glücklicher als an dem Tag, da er seinen ersten Gamsbock erlegt hatte. Glücklicher als in den Armen seiner Mutter, wenn Johanna ihn gestillt und dabei angelächelte hatte. Glücklicher als zu der Zeit, als er noch nicht geboren und die Welt noch eins war.
    Peters Glückseligkeit war strahlend hell, gleißend, vollkommen. Wer weiß, vielleicht sogar ewig.
    Wenn ihr sechzehnjähriger Cousin Sebastian, Wastl genannt, lachte, klang das, als würde ein Specht sein Nest in einen Baum stamm picken: t-t-t, t-t-t, t-t-t! Für Eva war dies das lustigste Geräusch auf der Welt, und sobald sie es hörte, schüttelte es sie selbst vor Lachen am ganzen Körper, wobei der Anlass, der ihn erheiterte, völlig egal war. Auch das hatte ihr dieser Cousin beigebracht, genau genommen ihr Onkel und fast schon ein Mann: Ein Grund zu lachen und mit dem Lachen gar nicht mehr aufzuhören fand sich immer, wenn man eben dazu aufgelegt war.
    Auf der Wiese zwischen dem Hof der Hubers und dem von Lenis Eltern war Wastl dabei, einen entfernten Verwandten nachzumachen, der dem Schnaps zu innig zugetan war. »Madoja, oschpele, hardimitz’n« , grummelte er fluchend und torkelte dabei mit der überraschenden Geschicklichkeit eines Säufers, der im nächsten Augenblick unweigerlich mit dem Gesicht im Dreck landen wird, sich dann aber doch auf den Beinen hält, sich zur anderen Seite verbiegt und gleich hinterrücks fallen wird …
    Mit offenem Mund und glänzenden Augen sah Eva ihm zu, bekam kaum noch Luft und hatte Bauchschmerzen vor Lachen. Bei ihr war Ulli, der andere Cousin, ein Jahr älter als sie, der ebenfalls lachte, zum Teil über Wastls Vorführung, zum Teil auch über Eva, die mittlerweile wie eine kaputte Puppe am Boden lag und nicht aufhören konnte zu lachen, nicht nur weil Wastl so gut den Betrunkenen imitierte, sondern weil sie vom Lachen ganz schlapp wurde und nicht mehr dagegen ankam. Zudem hatten Wastl und Ulli auch noch begonnen, über sie zu lachen, und zu guter Letzt hatte sie einfach noch nicht genug gelacht, und das Lachen wollte immer ganz ausgekostet werden, bis zur letzten Zuckung im Solarplexus, bis zum allerletzten Kitzeln im Hals.
    Und so lachten sie immer noch, als Leni auf dem Platz vor dem Heuboden auftauchte. Doch als sie deren Gesicht sahen, verstummten sie schlagartig, alle drei.
    Leni trat auf Wastl zu und sagte etwas zu ihm. Eva, die gerade mal vier Jahre alt war, verstand nicht viel von dem, was sie ihm sagte. Sie bekam nur mit, dass es irgendwie um Ullis Papa ging, um den, der immer fort war. Lenis konfusen Worten nach zu urteilen, würde er auch weiterhin nicht da sein, aber auf eine andere Art und Weise als zuvor. Und zum ersten Mal in ihrem Leben begriff sie etwas von der Tatsache, dass ein Vater auf verschiedene Arten nicht da sein konnte und dass eine davon schlimmer noch als die anderen war.
    Gerda saß jetzt wieder vor demselben Offizier, der sie damals vorgeladen und über Peter ausgefragt hatte. Nun war er es aber, der ihr von ihm erzählte: Ihr Bruder war beim Deponieren einer Bombe

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