Evas Auge
haben. Das habe ich nie vergessen. Ich habe nur einmal im Leben einen Menschen geschlagen, und gerade das mußte einfach sein. Nichts auf der Welt hätte meine Wut dämpfen können, ich hatte das Gefühl, ich würde verrückt, wenn ich ihm keine reinhauen könnte, mein Gehirn schien zu kochen.«
Er trank mehrere Schlucke Wein und schnalzte nachdenklich mit der Zunge.
»Aggression ist Furcht«, sagte Eva plötzlich. »Aggression ist eigentlich Notwehr, immer, auf die eine oder andere Weise. Eine Art Selbstschutz, Schutz des eigenen Körpers, des eigenen Verstandes, der eigenen Ehre.«
»Es gibt auch Leute, die aus Habgier morden.«
»Sicher, aber das ist wieder etwas anderes. Diese Frau – die aus der Zeitung – ist sicher nicht wegen Geld umgebracht worden.«
»Auf jeden Fall haben sie ihn bald. Ein Nachbar hat das Auto gesehen. Ich finde das witzig, wie die Autos die Verbrecher verraten. Diese Typen sind ja noch zu doof, um ihre Beine zu benutzen.«
»Was hast du da gesagt?«
»Hast du das noch nicht gehört? Der Nachbar wußte zuerst nicht, daß das wichtig war. War bis heute morgen verreist. Aber er hat am frühen Abend ein Auto in hohem Tempo davonfahren sehen. Ein weißes Auto, nicht mehr ganz neu. Vermutlich einen Renault.«
»Einen was?«
Evas Messer fiel auf ihren Teller, und die Soße spritzte hoch.
»Einen Renault. Ein besonderes Modell, wovon es nicht viele gibt, deshalb glauben sie, daß sie ihn bald haben werden. Gut, daß alle Autos registriert sind, weißt du, dann brauchen sie nur alle mit so einem Wagen herauszusuchen, und sie der Reihe nach zu besuchen. Und diese Leute müssen dann ihr Alibi servieren, und Gnade dem, der keins hat. Sehr gelungen.«
»Einen Renault?«
Eva hörte auf zu kauen.
»Genau. Alter Taxifahrer, kennt sich mit Autos aus. Gut, daß es kein altes Weib war, die können doch nicht mal einen Porsche von einem Käfer unterscheiden.«
Eva stocherte in ihrem Brokkoli herum und merkte, daß ihre Hände zitterten. O verdammt, dachte sie, was für eine blöde falsche Spur!
»Vielleicht hat er sich aber auch geirrt. Und stell dir vor, wieviel Zeit sie dann verlieren.«
»Aber sie haben doch sonst keine Anhaltspunkte?« fragte ihr Vater verwirrt. »Und warum sollte er sich irren? Er kennt sich mit Autos aus, haben sie im Radio gesagt.«
Eva kippte ihren Rotwein und bemühte sich, ihre Verzweiflung zu verbergen. Ein Renault, konnte der denn wirklich mit einem Opel verwechselt werden? Französische Autos sahen doch ganz anders aus. Vielleicht war das einfach nur ein Idiot, der sich wichtig machen wollte. Sie dachte an Elmer, daran, wie sehr der sich wohl über diese blödsinnige Beobachtung freute, er hatte sicher Nachrichten gehört, klebte bestimmt am Radio, und jetzt rieb er sich vor Erleichterung die Hände, es war zum Heulen.
»Möchtest du Pudding zum Nachtisch?« fragte sie kurz.
»Ja, wenn ich dazu Kaffee kriege.«
»Das kriegst du doch immer!«
»Ja, ja«, sagte er verwundert. »Du kannst doch wohl einen Scherz vertragen?«
Eva stand auf und räumte ab, Teller und Besteck klirrten und rutschten hin und her, sie mußte etwas unternehmen. Es war ihre Schuld, daß der Mörder noch frei herumlief, hätte sie die Wahrheit gesagt, wäre er jetzt schon in Haft. Jetzt wurde vielleicht ein anderer festgenommen. Sie legte eine Zigarre neben das Glas ihres Vaters und spülte die Teller ab. Danach aßen sie den Pudding, und der klebte als weißer Schaum an der Oberlippe ihres Vaters. Der Vater leckte sich genießerisch die Lippen. Ab und zu schaute er verstohlen zu Eva herüber, er hielt sich jetzt etwas zurück. Vielleicht ist das irgendeine Frauensache, dachte er. Als sie ihm aufs Sofa geholfen hatte, erledigte sie den Abwasch. Zuerst legte sie vier Hunderter in das Einmachglas im Küchenschrank und hoffte, daß er keinen vollen Überblick über seine Finanzlage hätte. Danach saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, schläfrig vom Essen und vom Wein. Eva hatte sich beruhigt.
»Die finden ihn schon noch«, sagte sie langsam. »Immer hat irgendwer etwas gesehen und ist nur ein bißchen langsam, aber schließlich rücken sie doch damit heraus. Niemand kommt mit so einem Verbrechen durch. So ungerecht ist die Welt nicht. Und Dichthalten ist auch schwer, vielleicht vertraut er sich im Suff jemandem an, oder so. Weißt du, jemand, der imstande ist, einen Menschen auf diese Weise umzubringen, im Suff, zum Beispiel, einer, der so labil ist, kann sich nicht für den Rest seines
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