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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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gegeneinander wie die Heringe in der Tonne, zogen die Knie bis ans Kinn und falteten vor ihren Beinen die Hände. Sejer band seine Stiefel fester zu, setzte den Lederhelm auf und nickte dem Fünften im Bunde zu, der sich gerade hereinzwängte und sich ihm gegenüber niederließ. Der Pilot schaute sich um, hob einen Daumen und startete. Es war nicht sehr laut, aber die Maschine wackelte ziemlich, als sie losrollten. Zu diesem Zeitpunkt versuchte Sejer immer, sämtliche Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen, er sah, wie die parkenden Autos vorüberhuschten und spürte, wie die Räder den Kontakt zum Boden verloren. Er behielt den Zeiger des Höhenmessers im Auge, um sich davon zu überzeugen, daß er ordnungsgemäß funktionierte. Fast fünftausend Fuß jetzt. Er sah den blauen, glitzernden Fjord, sah die Autos auf der Autobahn, aus dieser Höhe schienen sie sich langsam zu bewegen, wie in Zeitlupe, obwohl sie in Wirklichkeit neunzig oder hundert fuhren. Jemand räusperte sich, die drei jungen Leute gingen mit den Händen die Formationen durch, sie sahen aus wie Kinder in bunten Spielanzügen, die in irgendein Singspiel vertieft waren. Sejer hörte, daß die Tourenzahl sank, er zog den Kinnriemen straff, warf noch einen Blick auf seine Schnürsenkel und den Zeiger des Höhenmessers, der noch immer kletterte, und lächelte leicht über die Aufkleber an der Flugzeugtür, weiße Wolken mit unterschiedlichen Texten: Blue sky forever. Chickens, turn back. Und: Give my regards to mama. Dann waren sie oben, und wieder nickte er seinem Gegenüber Trondsen zu, als Zeichen, daß er zuerst springen wolle. Dann kehrte er der Tür den Rücken zu und starrte in die jungen Gesichter, die seltsam glatt waren, sie sahen wirklich aus wie kleine Kinder, er konnte sich nicht erinnern, selber jemals so glatt gewesen zu sein, aber es war ja auch schon lange her, das ist über dreißig Jahre her, dachte er, und sah, wie Trondsen die Tür öffnete, so daß der Lärm und der Druck des Windes ihn in das kleine Flugzeug preßten und ihn daran hinderten, hinauszufallen, ehe er wirklich bereit dazu war. Es steht nicht fest, daß der Schirm sich öffnet, Konrad, sagte er zu sich. Das sagte er in diesem Moment immer, um es nicht zu vergessen. Er hob den Daumen, starrte ein letztes Mal ohne zu lächeln die jungen Gesichter an, und sie lächelten auch nicht zurück. Dann ließ er sich rückwärts aus dem Flugzeug fallen.
     

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    A m nächsten Tag ließ er Kollberg wieder ins Auto und fuhr zum Pflegeheim, wo seit drei Jahren seine Mutter lag. Er stellte den Wagen auf dem Besucherparkplatz ab, ermahnte den Hund in aller Eile und ging zum Haupteingang. Er mußte immer erst Mut sammeln, ehe er herkam. Der fehlte ihm jetzt zwar, aber er war schon seit vierzehn Tagen nicht mehr hier gewesen. Er straffte sich und nickte dem Hausmeister zu, der gerade mit einer Gardinenleiter über der Schulter vorbeikam, er hatte einen lässigen, wiegenden Gang und ein zufriedenes Lächeln im breiten Gesicht, ein Mann, der seine Arbeit liebte, dem es im Leben an nichts fehlte, und der vielleicht nicht begriff, warum alle anderen sich pausenlos beklagten. Unglaublich. So ein Gesicht sehen wir nicht oft, dachte Sejer, und plötzlich entdeckte er seine eigene düstere Miene in der Glastür, durch die er hindurch mußte. Besonders glücklich bin ich wohl nicht, dachte er plötzlich, aber das hat mich wohl auch nie sonderlich interessiert. Er ging die Treppen zum ersten Stock hoch, nickte kurz zwei Leuten vom Personal zu und steuerte die Tür zum Zimmer seiner Mutter an. Sie hatte ein Einzelzimmer. Er klopfte dreimal und machte auf. Dann blieb er kurz stehen, damit die Geräusche sie erreichen konnten, das dauerte immer seine Zeit. Jetzt drehte sie den Kopf. Er lächelte, trat an ihr Bett, zog den Stuhl heran und nahm ihre dünne Hand in seine.
    »Hallo, Mutter«, sagte er. Ihre Augen waren etwas blasser geworden und wirkten sehr leer. »Ich bin’s nur. Wollte mal nach dir sehen.« Er drückte ihre Hand, aber sie reagierte nicht darauf.
    »Ich war gerade in der Nähe«, log er.
    Er hatte kein schlechtes Gewissen. Über irgend etwas mußten sie schließlich sprechen, und das war nicht immer so leicht.
    »Ich hoffe, du bekommst hier alles, was du brauchst.«
    Er sah sich um, wie, um das zu überprüfen.
    »Hoffentlich schauen sie manchmal herein und setzen sich ein bißchen zu dir, das Personal, meine ich. Mir haben sie erzählt, daß sie das machen. Ich hoffe, das

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