Evas Auge
stimmt.«
Sie schwieg und starrte ihn aus ihren hellen Augen an, als ob sie mehr erwarte.
»Ich habe dir nichts mitgebracht. Das ist nicht so leicht, das Personal sagt, Blumen seien nicht gut für dich, und soviel bleibt dann ja nicht mehr. Deshalb habe ich nur mich selber mitgebracht. Kollberg sitzt im Auto«, fügte er hinzu.
Ihre Augen glitten von ihm weg und suchten das Fenster.
»Draußen ist es bewölkt«, sagte er. »Angenehmes Licht. Nicht zu kalt. Hoffentlich kannst du ein bißchen auf der Veranda liegen, wenn erst einmal Sommer ist. Du bist doch sonst bei jeder Gelegenheit an die frische Luft gelaufen, genau wie ich.«
Er nahm auch noch ihre andere Hand, und ihre Hände verschwanden in seinen.
»Du hast zu lange Nägel«, sagte er plötzlich. »Die müßten geschnitten werden.«
Er betastete ihre Fingernägel, sie waren dick und gelb.
»Das dauert doch nur ein paar Minuten, und ich könnte das machen, aber ich fürchte, ich bin zu ungeschickt. Kümmert sich denn hier niemand um sowas?«
Sie sah ihn wieder an, mit halboffenem Mund. Ihr Gebiß fehlte, angeblich störte das sie nur. Dadurch sah sie älter aus, als sie wirklich war. Aber ihre Haare waren gekämmt, und sie war sauber, ihr Bettzeug war sauber, das Zimmer war sauber. Er seufzte leise. Sah sie wieder an und suchte lange nach dem kleinsten Anzeichen des Erkennens, konnte aber nichts entdecken. Ihr Blick wanderte weiter. Als er sich schließlich erhob und zur Tür ging, starrte sie noch immer das Fenster an und schien ihn schon vergessen zu haben. Auf dem Flur begegnete ihm eine Krankenschwester. Sie lächelte seine hohe Gestalt einladend an, er erwiderte das Lächeln kurz.
»Ihre Nägel sind zu lang«, sagte er leise. »Können Sie sich darum kümmern?«
Dann ging er und rang mit der Schwermut, die ihn immer nach den Besuchen bei seiner Mutter überkam. Das dauerte zwei Stunden, dann legte es sich wieder.
Später fuhr er nach Engelstad, erledigte zuerst aber zwei Telefonate. Eine Frage ging ihm durch den Kopf, und die Antworten, die er erhielt, gaben ihm einiges zu denken. Selbst die allerkleinsten Bewegungen der Menschen verursachen Ringe im Wasser, dachte er, und ein winziger Stein kann weit weg registriert werden, an einem Ort, an den wir einfach nicht denken würden.
Eva Magnus öffnete, sie trug ein riesiges Hemd mit vielen weißen und schwarzen Farbklecksen. In der Hand hielt sie einen Holzklotz mit Sandpapier. Er konnte ihr vom Gesicht ablesen, daß sie ihn erwartet hatte und daß sie schon wußte, was sie sagen wollte. Das irritierte ihn grenzenlos.
»Da bin ich wieder, Frau Magnus. Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen.«
Sie nickte kurz und war nicht überrascht über seinen Besuch.
»Beim letzten Mal ging es um Marie Durban – und jetzt geht es um Einarsson. Komisch, nicht wahr?«
Bei dieser Bemerkung holte sie tief Luft.
»Ich habe nur eine winzige Frage.«
Er war höflich, aber nicht bescheiden. Er war niemals bescheiden. Er strahlte Autorität aus, und ab und zu machte das andere ein wenig nervös, besonders, wenn er es darauf anlegte, und das war jetzt der Fall.
»Ja, das habe ich schon gehört«, sagte sie und trat einen Schritt zurück. Sie warf die langen Haare zurück und schloß hinter ihm die Tür. »Jostein hat angerufen. Aber ich kann Ihnen nicht viel erzählen. Nur, daß ich diesen armen Wicht im Wasser gesehen und euch dann angerufen habe. So gegen fünf Uhr nachmittags. Emma war dabei. Ich weiß nicht mehr, mit wem ich gesprochen habe, wenn Sie das wissen wollen, aber wenn Ihre Kollegen vergessen, die Anrufe zu notieren, dann ist das nicht mein Problem. Ich habe jedenfalls meine Pflicht getan, wenn das eine Frage von Pflicht ist. Mehr habe ich nicht zu sagen.«
Und damit hatte sie ihren Spruch geliefert. Sie hatte schließlich genug Zeit zum Üben gehabt.
»Können Sie sich an die Stimme erinnern? Dann kann ich feststellen, wem dieser Patzer unterlaufen ist. Es ist wirklich nicht gut, daß das vorkommt. Alle einlaufenden Anrufe müssen notiert werden. Und deshalb müssen wir dieser Sache nachgehen, das verstehen Sie sicher.«
Sie stand mit dem Rücken zur Wohnzimmertür, und er sah die großen schwarzweißen Gemälde, die ihn bei seinem ersten Besuch so beeindruckt hatten. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber sie hatte zweifellos alle Stacheln ausgefahren. Sie wußte, daß er bluffte, konnte das jedoch nicht offen sagen.
»Nein, Himmel, das war eine ganz normale Stimme. Ich habe nicht weiter
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