Evas Auge
nichts von ihr verlangten, und das war ihr nur recht. Jetzt, wo sie soviel zu durchdenken hatte. Nach dem Essen ging sie in einen Buchladen und kaufte sich einen Autoatlas. Sie setzte sich in der Fußgängerzone auf eine Treppe, die von einer Eisreklame halb verdeckt wurde, und fing an zu suchen. Ziemlich bald hatte sie den Weg wiedergefunden, sie maß die Entfernung provisorisch mit den Fingern und stellte fest, daß es sich um mindestens zweihundert Kilometer handelte. Auf jeden Fall würde sie zweieinhalb Stunden für die Fahrt brauchen. Wenn sie um neun Uhr losfuhr, konnte sie gegen Mitternacht dort sein. Allein, in einem Ferienhaus auf der Hardangervidda, mit Hammer und Meißel, hatte sie diesen Mut?
Sie schaute wieder auf die Uhr. Sie wartete auf Elmer, der jetzt seit sechs Stunden bei der Arbeit war und bald seinen ersten Arbeitstag als Mörder hinter sich haben würde. Von nun an würde er die Tage zählen, am Kalender verfolgen, daß die Zeit verging. Jeden Abend, an dem er als freier Mann ins Bett ging, glücklich aufatmen. Eines Tages würde sie ihm auf irgendeine Weise einen kleinen Stich versetzen. Damit er seine Sicherheit einbüßte und nachts nicht schlafen konnte, sondern nur noch wartete. Langsam würde er zusammenbrechen, vielleicht anfangen zu trinken, danach blaumachen. Und dann würde es zum Teufel mit ihm gehen. Eva lächelte bitter. Sie stand auf und ging in ein Sportgeschäft. Dort kaufte sie sich eine Windjacke mit Kapuze, dunkelgrün und gut imprägniert, ein Paar Nike Turnschuhe und einen kleinen Rucksack. Dinge, wie sie in ihrem ganzen Leben noch keine gehabt hatte. Aber wenn sie mitten in der Nacht über Gebirgswege kraxeln müßte, dann wollte sie wenigstens aussehen wie eine Ferienhausbesitzerin. Falls jemand sie sähe. Sie bezahlte für alles fast vierzehnhundert Kronen und verdrehte die Augen, aber ihrer Brieftasche war dieser Verlust kaum anzumerken. Wie leicht alles war, wenn man nicht auf das Geld zu achten brauchte. Wenn man es einfach aus der Tasche ziehen und auf den Tresen knallen konnte. Eva fühlte sich leicht und seltsam, fast wie eine andere, aber sie war es, Eva, die hier stand und mit dem Geld um sich warf. Nicht, daß sie sich irgendwelchen Luxus wünschte, das interessierte sie nicht. Sie wünschte sich nur eine Unbeschwertheit, die dafür sorgte, daß sie in Ruhe malen konnte. Sonst wünschte sie sich nichts. Schließlich ging sie in die Bank und bezahlte ihre Rechnungen. Strom, Telefon, Autosteuern, Versicherungen und Gemeindegebühren. Sie steckte alle Quittungen in ihre Handtasche und ging hocherhobenen Hauptes wieder hinaus. Wanderte über den Platz zu den Bänken am Flußufer und starrte das schwarze Wasser an, das vorüberschäumte. Die Strömung war heftig. Ein Pappbecher, der vielleicht Wurst und Kartoffelpüree behaust hatte, fegte wie ein Mini-Speedboot vorbei. Elmer schaut jetzt sicher auf die Uhr, vielleicht häufiger als sonst. Aber niemand hat nach ihm gefragt, niemand ist durch die große Halle gekommen, um ihn zum wartenden Wagen abzuführen. Niemand hat etwas gesehen. Er glaubt, davonzukommen. Vielleicht, vielleicht kommt er davon. Eva erhob sich und ging zu ihrem Auto. Sie fuhr zum Schwimmbad und hielt auf der Vorderseite, wo sie die Schranke im Blick hatte. Der Parkplatzwächter wanderte noch immer an den Wagenreihen entlang. Eva senkte den Kopf und blätterte im Autoatlas. Es war Viertel vor drei.
Schließlich kamen sie, drei Männer nebeneinander. Er blieb bei dem weißen Auto stehen und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Die hingen jetzt offen herab, aber sie erkannte sein Profil und seinen Bierbauch. Er redete und gestikulierte, und er stupste die beiden anderen freundschaftlich mit der Faust an.
Als ob nichts geschehen sei!
Sie sprachen über das Auto. Das entnahm sie ihren Gesten, sie sahen sich die Reifen an, einer bückte sich und zeigte unter die Kühlerattrappe. Elmer schüttelte den Kopf und schien anderer Meinung zu sein. Er legte eine Hand auf das Autodach, vielleicht, um zu demonstrieren, daß der Wagen ihm gehörte. Ein breitbeiniger Typ mit mannhaften Gebärden. Eva fuhr langsam vom Parkplatz. Vielleicht war er ein wilder Verkehrsrowdy, der sie sofort abhängen würde. Aber bei dem dichten Verkehr um diese Zeit würde er es wohl doch nicht schaffen. Sein Auto schien sehr gut in Schuß zu sein, ihres dagegen konnte jeden Moment auseinander brechen. Der Motor brüllte wütend auf, als er angelassen wurde, als ob unter der
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