Evas Auge
jetzt funktioniert es wieder, ich war mit der Rechnung ein bißchen spät dran.«
»Ich habe doch gesagt, du sollst dich an mich wenden, wenn du etwas brauchst«, brummte ihr Vater.
»Ein paar Tage ohne Telefon bringen mich ja wohl nicht um«, sagte sie leichthin. »Und du schwimmst ja auch nicht gerade in Geld.«
»Aber mir ist es lieber, ich muß hungern, und nicht du. – Hol mir mal Emma, ich möchte ihre unverdorbene Stimme hören.«
»Die ist für ein paar Tage bei Jostein, so eine Art Herbstferien. Sag mal, klinge ich denn verdorben, hast du das gemeint?«
»Deine Stimme hat manchmal einen rauhen Unterton, ich habe immer das Gefühl, daß du mir nur einen Bruchteil von allem erzählst, was passiert.«
»Ja, das stimmt. Sowas nennt man Rücksichtnahme. Du bist schließlich nicht mehr der Allerjüngste.«
»Ich finde, du mußt bald mal wieder rüberkommen, damit wir uns gegenseitig richtig hochnehmen können, bei einem Glas Rotwein. So per Telefon fehlt der richtige Schwung.«
Er schniefte leicht, wie bei einer Erkältung.
»Ich komme auch bald. Du kannst doch bei Jostein anrufen, wenn du mit Emma sprechen möchtest. Die ist übrigens auch nicht mehr ganz unverdorben, ich glaube, sie hat große Ähnlichkeit mit dir.«
»Das betrachte ich als Kompliment. Ist es ihm peinlich, wenn ich anrufe?«
»Nein, spinnst du! Er mag dich sehr. Er hat Angst, daß du vielleicht wütend auf ihn bist, weil er mich verlassen hat, und wenn du anrufst, freut er sich bestimmt.«
»Ich bin stinkwütend! Du hast doch wohl nichts anderes erwartet?«
»Sag ihm das aber nicht.«
»Ich habe nie begriffen, warum du so verdammt loyal bist, einem Mann gegenüber, der auf diese Weise abgehauen ist.«
»Ich werde dir das irgendwann mal erklären, bei einem Glas Rotwein.«
»Ein Vater müßte alles über sein einziges Kind wissen«, sagte er beleidigt. »Dein Leben ist weiß Gott ein einziges großes Geheimnis!«
»Ja«, sagte sie leise. »Das stimmt, Papa. Aber weißt du, die wirklich wichtigen Wahrheiten kommen schon ans Licht. Wenn die Zeit reif ist.«
»Die Zeit ist bald zu Ende«, sagte er. »Ich bin alt.«
»Sowas sagst du, wenn du dir selber leid tust. Kauf Rotwein, ich komme bald. Ich rufe dich noch an. Du ziehst doch wohl immer deine Pantoffeln an?«
»Das mache ich, wie es mir paßt. Wenn du anfängst, dich wie eine Frau anzuziehen, dann ziehe ich mich wie ein alter Mann an.«
»Abgemacht, Papa.«
Sie schwiegen eine Weile, aber sie konnte seinen Atem hören. Beide waren ganz still, und Eva hatte das Gefühl, seinen warmen Atem durch die Leitung über ihre Wange streifen zu spüren. Ihr Vater war ein zäher Brocken, und Eva nahm ihre ganze Stärke von ihm. Ganz weit im Hinterkopf dachte sie daran, daß er bald sterben müsse und daß ihr dann aller Halt im Leben entrissen werden würde, weggefetzt, so, als ob ihr jemand Haut und Haare vom Leibe zöge.
Bei diesem Gedanken wurde ihr kalt.
»Jetzt denkst du düstere Gedanken, Eva.«
»Ich komme bald. Ich finde das Leben im Grunde nicht besonders toll.«
»Dann müssen wir uns wohl gegenseitig trösten.«
Er legte auf. Danach war es so still, sie ging zum Fenster, und ihre Gedanken gingen ihre eigenen Wege, obwohl sie sich dagegen wehrte. Wie sind wir eigentlich gefahren, überlegte sie, um damals zu diesem Ferienhaus zu kommen, waren wir nicht zuerst in Kongsberg? Es war so lange her. Fünfundzwanzig Jahre. Majas Vater hatte sie in seinem Kastenwagen gefahren. Und sie hatten sich betrunken, im Heidekraut vor dem Ferienhaus hatten überall Brocken von Eintopf und Obstsalat herumgelegen, und das Bettzeug hatten sie auch vollgekotzt. Nach Kongsberg, dachte sie, und dann über die Brücke. Weiter nach Sigdal, war das nicht so? Rotes Haus mit grünen Fensterrahmen. Winzigklein, fast einsam gelegen. Aber es war weit. Zweihundert Kilometer, vielleicht dreihundert. Fast zwei Millionen. Wieviel Platz soviel Geld wohl braucht, fragte sie sich, wenn es kleinere Scheine sind, dann reicht ein Schuhkarton bestimmt nicht aus. Und wo versteckte man in einem kleinen Haus ein solches Vermögen? Im Vorratskeller? Im Schornstein? Oder vielleicht im Klohäuschen, in das sie immer nach dem Benutzen aus einem Sack Erde und Birke schütten mußten. Lag es vielleicht in alten Fischkonserven im Küchenschrank? Maja war erfinderisch gewesen. Es würde bestimmt nicht leicht sein, falls jemand danach suchte, überlegte sie. Aber wer sollte danach suchen? Es wußte doch niemand etwas von
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