Evas Auge
diesem Geld, also würde es dort in bis in alle Ewigkeit liegen und zu Staub zerfallen, oder hatte Maja anderen davon erzählt? Dann stellten vielleicht in diesem Moment noch andere dieselben Überlegungen an wie Eva selber, dachten an die zwei Millionen und träumten vom Reichtum. Sie ging wieder in ihr Atelier und kratzte an der schwarzen Leinwand herum. Der Oktober war für Ferienhäuser im Hochgebirge sicher nicht gerade Hochsaison, vielleicht war da oben keine Menschenseele, niemand würde sie sehen. Wenn sie ein Stück weit entfernt parkte und dann das letzte Stück zu Fuß ginge – falls sie sich überhaupt an den Weg erinnerte. Bei einem gelben Laden links abbiegen, das wußte sie noch, und dann immer aufwärts, fast bis zur Baumgrenze. Haufenweise Schafe. Die Herberge für Wanderer und der große See, dort konnte sie den Wagen stehen lassen, unten am Wasser. Sie kratzte und kratzte an der Leinwand herum. Zwei Millionen. Ihre eigene Galerie. Malen und malen und nie wieder Geldsorgen, jedenfalls für viele Jahre nicht. Gut für den Vater und für Emma sorgen. Bei Bedarf Geld aus einer Schüssel fischen. Oder aus einem Banksafe. Warum in aller Welt hatte Maja das Geld nicht in einen Safe gelegt? Vielleicht mußte es dort registriert werden. Und es war schwarz verdientes Geld. Eva kratzte härter. Wenn sie dieses Geld haben wollte, mußte sie in das Ferienhaus einbrechen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie das wagen würde. Die Tür mit einem Brecheisen aufstemmen oder ein Fenster einschlagen, das würde doch weit zu hören sein. Aber wenn da oben niemand war … Sie könnte abends losfahren und in der Nacht dort eintreffen. Obwohl es schwierig sein würde, im Dunkeln zu suchen. Eine Taschenlampe vielleicht. Sie ließ das Sandpapier fallen und ging langsam die Kellertreppe hinunter. In einer Schublade dort lag eine Taschenlampe, die Jostein vergessen hatte. Sie gab ein ungeheuer trübes Licht. Eva griff in den Farbeimer, in dem sie Majas Taschengeld versteckt hatte, und zog ein Bündel Geldscheine heraus, ging wieder nach oben und zog ihren Mantel an. Verdrängte die kleinen Stiche, die ihr schlechtes Gewissen ihr versetzte, und eine schwache, kaum hörbare Warnung ihrer Vernunft. Zuerst wollte sie alle Rechnungen bezahlen und einige Kleinigkeiten erledigen. Es war jetzt zwölf Uhr. In drei Stunden würde Elmer von der Schicht kommen, würde zu seinem Auto gehen. Eva setzte ihre Sonnenbrille auf. Sie starrte in den Spiegel, auf ihre schwarzen Haare, die Brille und den Mantel, und sie erkannte sich selber nicht wieder.
Am Platz lag ein Eisenwarenhandel. Sie wagte nicht, um ein Brecheisen zu bitten, sie wanderte an den Regalen entlang und suchte etwas, das sie in einen Türspalt stecken konnte. Sie fand einen kräftigen Meißel, sehr groß, mit scharfer Kante, und einen soliden Hammer. Der Schaft war aus gerilltem Rohgummi. Nach der Taschenlampe mußte sie fragen.
»Was wollen Sie damit?« fragte der Eisenwarenhändler.
»Leuchten«, antwortete Eva verwundert. Sie starrte den Bauch des Mannes an, der sich unter dem Kittel wölbte. Die Knöpfe schienen jeden Moment vom Stoff springen zu können.
»Ja, sicher, das ist doch klar. Aber es gibt unterschiedliche Typen von Lampen. Ich meine – wollen Sie im Licht dieser Lampe arbeiten, wollen Sie bei nächtlichen Spaziergängen den Weg beleuchten, wollen Sie damit Signale geben …«
»Arbeiten«, sagte Eva schnell.
Er zeigte ihr eine wasser-und stoßfeste Lampe mit langem schmalen Schaft, deren Strahl je nach Bedarf gestreut oder gebündelt werden konnte.
»Das ist so ungefähr das Beste, was es gibt. Lebenslange Garantie. Wird in den USA von der Polizei verwendet. Vierhundertfünfzig Kronen.«
»O Gott! Ja, die nehme ich«, sagte sie schnell.
»Damit können Sie den Leuten auch eins auf den Kopf geben«, sagte er ernst. »Einbrechern und so.«
Eva runzelte die Stirn. Sie wußte nicht so recht, ob er das ernst gemeint hatte.
Das Werkzeug kostete ein Vermögen, über siebenhundert Kronen. Sie bezahlte und trug die graue Papiertüte aus dem Laden. Kam sich vor wie eine altmodische Einbrecherin, es fehlten nur noch Gummischuhe und Haßkappe. Dann merkte sie, daß sie noch nichts gegessen hatte. Sie ging zum Warenhaus Jensen, wo im ersten Stock ein Café lag. Dort kaufte sie zwei Brote, eins mit Lachs und Ei, eins mit Käse, dazu Milch und Kaffee. Sie sah keine Bekannten. Sie kannte ja auch niemanden, sah nur überall namenlose Gesichter, die
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