Eve & Adam (German Edition)
zuzulassen. Kunst heißt, zu wissen, welche man behalten soll.
Ich schlage eine neue Seite auf, reiße sie heraus und schreibe Aislin eine kurze Nachricht.
Dann lege ich das Blatt neben ihr Kopfkissen. Sie hat die Decke heruntergestrampelt, deshalb ziehe ich sie wieder hoch und schiebe einen Zipfel unter ihr Kinn. Ihre Wange sieht aus wie eine überreife Pflaume, schwarzviolett und geschwollen.
Ich lege den Block in eine Schublade.
Dann fliehe ich zu Adam, wo ich sicher bin.
20
EVE
Ich setz mich an meinen Arbeitsplatz. Die Sonne fällt schräg herein. Der blinkende Benjamini hat ein Blatt auf die Tastatur fallen lassen. Ein paar wissenschaftliche Angestellte heben die Köpfe, als sie mich hören, wenden sich aber rasch wieder ihren Computern zu.
Ich gebe mein Passwort ein. Doppelklick, dann mehrere Tasten.
Ich kann wieder tippen. Mit zwei Händen und zehn Fingern.
Adam erscheint.
Er sieht gut aus. Sehr gut sogar.
Die Angestellten finden das offenbar auch. Sie starren wie hypnotisiert auf meinen Bildschirm.
»Den Job möchte ich auch haben«, murmelt jemand.
Ich sehe mich um und die anderen wenden sich wieder ihren Monitoren zu. Schließlich bin ich die Tochter von Terra Spiker, da ist Blickkontakt keine Option.
Terra Spiker, die offenbar zu allem fähig ist.
Ich wackle mit den Fingern der rechten Hand. Perfekt funktionierenden, schmerzfreien Fingern.
Sie wollten mir nur das Leben retten. Und das haben sie auch.
Wenn sie das Verfahren nicht abgekürzt und die Behörde ignoriert hätten, säße ich jetzt nicht hier.
Würde ich für jemanden, den ich lieb habe, nicht dasselbe tun? Zum Beispiel für Aislin?
Ja, sofort.
Aber hätte ich es vor ihr geheim gehalten? Riskiert, dass sie es von einem Fremden erfährt?
Solo ist kein Fremder, protestiert ein Teil von mir. Aber das ist er. Ich weiß praktisch nichts über ihn, nur dass er meine Mutter hasst.
Klick, klick. Ich konzentriere mich auf den Bildschirm.
Mir fällt auf, dass Adams Augen nicht so echt wirken, wie ich sie in Erinnerung habe.
Ihr Blick ist ausdruckslos, genau wie die Augen meiner Zeichnung. Leer. Aber bei Adam habe ich noch gewisse Möglichkeiten. Der Unterschied zu einer Zeichnung, die mit der Hand geschaffen wird, ist, dass ich weiß, wie ich das Problem beheben kann.
Die Werkzeuge, mit denen ich die genetischen Komponenten des Gehirns festlege, sind anders. Komplexer als die ersten Schritte der Schöpfung, bei denen man ein bestimmtes Gen einsetzt, und schon hat man blaue Augen oder schwarze Haare oder eine Lunge.
Ich überfliege die Anleitung. Dort steht in einfachen, userfreundlichen Sätzen, dass man das Gehirn genetisch zwar anlegen kann, damit aber noch längst nicht alles bestimmt ist. Für das Gehirn spielen auch Erfahrungen eine große Rolle. Und selbst auf genetischer Ebene sind die Interaktionen so vielschichtig und verschlungen, dass man nie sicher sein kann, was dabei herauskommt.
Das Gehirn ist ein Gewirr aus Milliarden von Nervensträngen. Sie liegen zum Teil so dicht beieinander, dass sie miteinander verschmelzen und daraus etwas Größeres entsteht als die bloße Addition der einzelnen Stränge.
Ich kratze mich am Handgelenk, wo noch ein Rest des chirurgischen Klebebands hängt. Die Stelle juckt. Es kribbelt mich am ganzen Körper. Genauso fühlte ich mich vor dem Unfall, wenn ich ein paar Tage lang nicht joggen konnte.
Vielleicht ist das ja mein Problem.
Nein, sage ich mir, dein Problem ist, dass du deine Mutter irgendwie zur Rede stellen und ihr sagen musst, dass du die Wahrheit kennst.
Aber nicht jetzt schon. Ausgeschlossen.
Ich könnte Adam den IQ eines Genies geben. Ich könnte bestimmte Icons zusammenziehen und ein ungeheuer komplexes Gehirn schaffen. Eins, das sich sagenhaft viel merken und riesige Datenmengen verarbeiten kann.
Andererseits könnte ich auch jemanden erschaffen, der so intelligent ist, dass er nur mit Menschen zurechtkommt, die so sind wie er. Ich könnte die potenzielle Menge seiner Freunde, ebenbürtigen Bekannten und Freundinnen auf ein zehntausendstel Prozent der Menschheit reduzieren.
Ich könnte verhindern, dass er jemals glücklich wird.
Vielleicht sollte ich ihn zu einem Durchschnittsmenschen machen. Dann könnte er unter zahlreichen Freunden und möglichen Freundinnen auswählen. Dafür müsste er sich in der Schule mehr anstrengen. Nicht alles würde ihm leichtfallen.
Er wäre womöglich glücklicher. Doch seine Durchschnittlichkeit wäre kaum eine Garantie dafür.
Ich
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