Eve & Adam (German Edition)
aus der Gesäßtasche. »Das ist für Suite vierzehn. Das Zimmer, in dem sie schlafen kann.«
Ich nehme die Karte. Eigentlich müsste ich mich bedanken, oder? Er hat Aislin zu mir gebracht und damit viel riskiert.
Aber irgendwie bringe ich das Wort nicht über die Lippen. Ich kann ihm nur eine gute Nacht wünschen, und schon ist er verschwunden.
Aislin schnarcht.
Trotz allem kann ich schlafen. Trotz der Hand, die Aislin mir auf das Gesicht legt. Und trotz der merkwürdig detaillierten Erinnerung daran, wie ich meine Pyjamahose runterrutschen ließ, während Solo sich auf Augenhöhe mit meinem unerotischen Höschen befand.
Ich denke an das Gefühl und den damit verbundenen Schauer, als Solo mit den Fingern vorsichtig an der Innenseite meines Schenkels hinunterfuhr.
Aber wie gesagt, ich schlafe trotzdem ein. Und träume von einer Klinik. Allerdings nicht von Spiker und auch nicht von der Notaufnahme.
Von einem Krankenhauszimmer in einer weit zurückliegenden Vergangenheit.
Ich sehe meine Mutter und meinen Vater.
Manchmal träume ich von meinem Vater, allerdings nie von meiner Mutter.
In diesem Traum sind jedoch beide da und flüstern miteinander. Meine Mutter hält eine Spritze in der Hand, mein Vater nickt zustimmend. Sie weinen.
Ich wache auf, weil Aislin mir ihren übel stinkenden Atem ins Gesicht bläst. Sie riecht nach Kotze. Hoffentlich hat sie es ins Bad geschafft. Ich stehe schwankend auf und stelle fest, dass die Toilettenschüssel voll ist. Na ja, besser als das Bett.
Mein Verband schlackert lose hin und her. Ich muss ihn entweder ganz abschneiden oder ich verberge mein schlechtes Gewissen bis zum nächsten Verbandswechsel.
Da begreife ich plötzlich etwas, was ich schon viel früher hätte begreifen sollen: Alle sind eingeweiht, die Ärzte und die Schwestern. Sie wissen, dass die Verletzung längst verheilt ist.
Deshalb hatte meine Mutter es so eilig, mich aus dem Krankenhaus hierherzubringen. Mein Geheimnis wäre dort nach einem Tag aufgeflogen. Und was wäre mit meiner Mutter passiert, wenn herausgekommen wäre, dass sie das Gesetz gebrochen hat? Viele Gesetze?
Es ist dunkel im Zimmer, aber die Uhr zeigt 8:42 . An einem normalen Tag wäre ich jetzt schon auf. Ich bin vor Schlafmangel ganz aufgekratzt und mein Kopf platzt fast vor Bildern und Worten. Bilder von Aislins blutigem Gesicht. Mein Traum von einem Krankenhauszimmer in einer weit zurückliegenden Vergangenheit. Solos Bemerkung: Du bist ein Mod. Du bist genetisch modifiziert. Die seltsam glatte Haut unter meinen Fingerspitzen, wo eigentlich eine schreckliche Wunde sein sollte.
Am intensivsten erinnere ich mich jedoch an Solo, wie er auf dem Badezimmerboden kniet.
Ich gehe ins Bad. Aislin schnarcht leise.
Ich nehme die Schere, mit der Solo den Verband an meinem Bein geöffnet hat. Ein wenig ungeschickt schneide ich die Verbände an meinem rechten Arm und meiner rechten Hand auf.
Ich beuge die bis vor Kurzem noch zerquetschten Finger, winke mit der nach dem Unfall zerfetzten Hand und bewege den dabei gebrochenen Ellbogen.
Es ist, als wäre nichts passiert.
Du bist genetisch modifiziert.
Denk nicht drüber nach.
Ich dusche sehr heiß. Unglaublich, wie gut sich das anfühlt. Aufrecht unter dem brennenden Geprassel zu stehen ist ein Geschenk. Mir mit beiden Händen die Haare zu waschen das pure Glück.
Ich trockne mich ab, ziehe frische Kleider an, Jeans mit zwei Beinen. Dann greife ich mit der rechten Hand – jawohl, mit der rechten – nach meinem Skizzenblock und dem Stift.
Einfach nicht daran denken.
Ich schlage die unvollendete Zeichnung auf, die ich in der Schule begonnen habe.
Der Bleistift liegt sicher in meiner Hand. Das leise Kratzen des Stifts auf dem Papier ist Musik in meinen Ohren.
Ich zeichne ein paar willkürliche Linien, nur um mich an den Schwung der Bewegung zu gewöhnen.
Nicht daran denken.
Ich betrachte die Zeichnung. Ich finde sie immer noch ätzend.
Ihr fehlt etwas. Kraft, ein Funke, eine Seele.
Von wegen Zeichnen nach einem lebenden Modell. Ein Stillleben ist das.
Es liegt an den Augen. Sie stimmen nicht. Sie kommen nicht im Entferntesten an die Augen ran, die ich mithilfe der Software geschaffen habe.
Adams Augen sind voller Möglichkeiten.
Diese Augen dagegen … na ja, sind Grafit auf recyceltem Altpapier.
Nicht daran denken .
Ich will das linke Auge ausradieren, da fällt mir plötzlich das Plakat mit den Eselsohren ein, das im Zeichensaal hängt: Kreativität heißt, eigene Fehler
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