Eve & Adam (German Edition)
Skulpturen. Mein Vater hat sie »Artefakte der Luft« genannt, und sie erinnern an die natürlichen Formen von Wolken, Bäumen und Vögeln.
Meine Lieblingsskulptur aus Stahl und Plexiglas ähnelt einem Blitz. Aber auch die stehende Skulptur habe ich ins Herz geschlossen – eine Art stilisierter Mammutbaum, der vom Boden bis zur Decke reicht.
Meine Mutter kann Kunst nicht ausstehen. Insbesondere die meines Vaters nicht. Warum sie die Objekte trotzdem behalten und sogar aufgestellt hat, ist mir ein Rätsel. Ich habe sie einmal gefragt und sie meinte, ihr Innenarchitekt habe etwas Protzig-Hässliches gebraucht, um den Raum zu füllen.
Der Raum schüchtert einen total ein. Du bist nichts, vermittelt er dir, und ich bin alles. Meine Mutter schafft es dennoch irgendwie, diesen außergewöhnlich großen und prunkvollen Raum zu dominieren.
In einem solchen Büro erwartet man eigentlich keine kitschigen Familienfotos, aber es gibt sie tatsächlich. Sie wirken jedoch völlig deplatziert. Eine Galerie in silbernen Rahmen an der Wand rechts vom Schreibtisch. Die meisten sind von mir, einige von meinem Vater. Eins zeigt uns alle drei, das klassische Die-glückliche-Familie-am-Strand-Motiv.
Ich erinnere mich noch an diesen Tag. Es war ein schöner Tag. Windig und zu kalt, um sich auch nur in die Nähe des Wassers zu wagen. Wir ließen einen Drachen steigen, bis er im Sturzflug in die Brandung eintauchte.
Ich war damals vier, vielleicht auch fünf Jahre alt und somit schon lange genetisch verändert.
»Tag, Evening«, sagt meine Mutter kühl.
»Tag.«
Ihr Blick wandert zu meinem Bein – ein kurzes Flattern der Augenlider. »Wie ich sehe, geht es deinem Bein besser.«
»Mehr als das. Es ist vollständig geheilt.«
Sie sieht mich unverwandt an. Ich bin fest entschlossen, nicht als Erste wegzusehen.
Und scheitere.
»Wann wolltest du es mir sagen?«, frage ich.
»Was sagen?«
»Dass ich eins deiner gentechnischen Experimente bin.«
Es folgt ein langes Schweigen. Jetzt sind nur noch das leise Rauschen des Wassers und die stählerne Gangschaltung im Kopf meiner Mutter zu hören. Na ja, eigentlich nur das Wasser.
»Mich würde interessieren, wie du darauf kommst«, sagt sie schließlich. Sie steht aufrecht da, rückt ihr Kostüm zurecht, obwohl es optimal sitzt, und kommt hinter dem Schreibtisch hervor, an dem sich das Geschick vieler entschieden hat.
Wie so oft bei ihr verspüre ich den Drang, einen Schritt zurückzutreten. Aber ich widerstehe ihm.
»Das liegt doch auf der Hand«, sage ich. »Meine Mutter leitet eine biotechnische Firma, die dafür bekannt ist, stets den kürzesten Weg zu nehmen.«
Sie tritt näher an mich heran. »Hättest du lieber Schmerzen? Narben? Würdest du lieber dein Leben lang hinken?«
»Was hast du mir sonst noch angetan?«
Sie steht nun vor mir. » Mir angetan? Du meinst, was ich dir sonst noch ermöglicht habe?«
»Ich …«
»Wie ich dein Leben im Vergleich zu dem der anderen Menschen verbessert habe? Dich beschütze?«
Ich atme schwer. Ihre Selbstsicherheit erstickt mich. Ich will etwas erwidern, aber meine Kehle ist wie ausgetrocknet.
Will ich die Antwort wirklich wissen?
»Weshalb bist du gekommen, Liebling?«
»Ich brauche neuntausend Dollar.«
»Für deine Loserfreundin? Hat sie dich gestern Abend doch noch besucht? Muss ich mich dafür bei Solo bedanken?«
Panik steigt in mir auf. Solo kann ich keine Schuld geben. Er hat mir vertraut.
»Sie hat den Weg von allein gefunden«, sage ich. »Und sie bleibt. Solange sie will.«
Ich bin stolz darauf, wie ruhig meine Stimme klingt.
»Das sind also deine Forderungen«, stellt sie fest. »Neuntausend Dollar und ein Zimmer für deine idiotische beste Freundin.«
Es hat keinen Sinn, Aislin zu verteidigen. Nicht jetzt. »Ja.«
Nach einer kurzen Pause sagt meine Mutter: »Du musst noch mindestens eine Woche hierbleiben, um den Schein zu wahren.«
»Gut.«
Sie holt tief Luft. Dann legt sie den Kopf schräg und mustert mich neugierig, als sähe sie mich zum allerersten Mal. »Okay.«
»Okay?«
»Ja.«
»Und?«
»Und nichts.«
Sie ist so was von clever. Durchtrieben.
»Gibt es sonst noch etwas?«, fragt sie zufrieden. Sie weiß, dass sie mich an die Wand gespielt hat. Dass sie sich gerade mein Schweigen und meine Einwilligung gekauft hat. Für ein Taschengeld.
Auf die gleiche Weise wurde sie Milliardärin.
22
SOLO
Ich darf jetzt nichts vermasseln.
Mit geballten Fäusten bleibe ich auf dem Gang stehen. Mein Herz
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