Eve & Adam (German Edition)
und betrachtet sich im Spiegel. »Uuh, wie lange muss ich damit herumlaufen?«
»Sieh dir an, wie schnell mein Gesicht verheilt ist«, tröstet Eve sie.
»Bei Aislin wird es viel länger dauern«, sage ich. Schon ist es heraus und ich kann es nicht mehr ungesagt machen. Einen kurzen Augenblick lang hoffe ich, dass niemand darauf eingeht.
»Warum sollte es bei ihr länger dauern?«, fragt Eve. Als hätte ich Aislin irgendwie beleidigt.
Ich antworte nicht und lasse den Kopf hängen, die Ellbogen auf die Knie gestützt.
Aber Eve lässt nicht locker. »Solo? Warum sagst du nichts?«
Ich blicke demonstrativ in Richtung Bad und forme mit den Lippen die Worte: da drin.
Zu meiner Erleichterung kapieren die beiden es sofort.
»Kannst du meinen Rollstuhl holen?«, fragt Eve.
»Versuch zu stehen«, schlage ich vor.
Sie sieht mich mit skeptisch gerunzelter Stirn an. »Soll das ein Witz sein? Auf keinen Fall.«
»Na gut, dann spiele ich eben Krücke.« Ich zucke mit den Schultern, als sei mir das lästig.
Ich lege den Arm um Eve und helfe ihr, ins Badezimmer zu hüpfen. Aislin folgt uns mit wackeligen Schritten.
Mit geschlossener Tür ist es eng, aber es geht. Die Suite ist geräumig und das gilt auch für das Bad. Ich suche im Medizinschränkchen und anschließend in den Schubladen, bis ich eine Schere finde.
»Was hast du vor?«, fragt Eve.
Ich gehe vor ihr in die Hocke. »Was geht leichter? Hose hochziehen oder runterlassen?«
Eve kapiert, was ich vorhabe, und schiebt mit finsterer Miene die Schlafanzughose nach unten. Zusammengeknäuelt bleibt sie an ihren Knöcheln hängen.
»So was trägst du unten drunter?«, protestiert Aislin beim Anblick von Eves Höschen.
»Es ist bequem.«
Ich sage nichts, sondern schlucke nur kräftig.
Der dicke Verband reicht vom Knöchel bis zum Oberschenkel. Endet knapp vorm Slip. Sehr vorsichtig und mit bebenden Händen ziehe ich den Rand des Verbands ein wenig vom Schenkel weg und setze die Schere an.
Aislin streicht mit dem Zeigefinger über ihre verbundene Nase. »Also jetzt, wo ich darüber nachdenke, finde ich es schon seltsam, dass du keinen Gips bekommen hast.«
»So seltsam ist das gar nicht«, sage ich.
»Was machst du da?«, fragt Eve. Aber es klingt nicht böse. Auch nicht, als wollte sie mich gleich aufhalten. Ihre Stimme zittert ein wenig.
Ich beginne zu schneiden. An der Innenseite ihres Schenkels entlang abwärts. Als ich an die Stelle komme, an der das Bein abgetrennt wurde, rolle ich den Verband nach unten, bis sie freiliegt.
Wir starren alle drei darauf.
Das Badezimmerlicht ist gnadenlos.
Dort wo Eves Bein mit roher Gewalt abgetrennt wurde – die Haut zerfetzt, der Knochen gebrochen, das Muskelfleisch abgerissen wie ein Hähnchenschlegel –, ist makellos glatte weiße Haut.
19
EVE
»Da ist nicht mal eine Narbe«, murmelt Aislin.
Ich strecke zitternd die Finger nach meinem Bein aus.
Ich muss es anfassen, damit ich es glauben kann.
Die Haut ist nicht nur glatt, sondern in jeder Beziehung genauso wie vor dem Unfall. Ich ziehe den Verband noch weiter nach unten. Es fühlt sich an, als würde ich sehr enge Leggings ausziehen. Bis zum Knie schiebe ich ihn hinunter, für den Fall, dass die Erinnerung mir einen Streich spielt.
»Träume ich oder ist das wahr?«, frage ich.
Solo steht auf und legt die Schere auf die Ablage. »Es ist schon seit Tagen so. Ab dem zweiten Tag war es praktisch verheilt. Am dritten Tag waren die Narben kaum noch zu sehen. Und am vierten?« Er hebt die Schultern. »Es gibt natürlich Abweichungen, läuft nie genau gleich ab.«
Aislin hat ihre Nase vergessen. »Aber das ist doch unmöglich!«
»Solo«, sage ich. Er kennt die Antwort, das spüre ich.
Er fragt mich: »Hast du je eine Schramme oder ein aufgeschürftes Knie gehabt, das nicht nach spätestens einem Tag verheilt war?«
»Hm … weiß nicht.« Ich gehe die Pflaster durch, die ich in meinem Leben schon gehabt habe. »So genau habe ich nicht aufgepasst.«
»Schnitte? Prellungen?« Solo lehnt sich mit dem Rücken gegen das Waschbecken, die Arme vor der Brust verschränkt. »Zahnschmerzen?«
»Ich nehme immer Zahnseide«, wehre ich mich.
»Erkältung? Grippe?«
Mein Herzschlag beschleunigt sich. »Ich desinfiziere mir oft die Hände«, sage ich mit einem schwachen Lächeln. »Wie viele Erkältungen hast du schon in deinem Leben gehabt?«
Solo runzelt die Stirn, will etwas sagen, überlegt es sich aber anders. »Wir sprechen von dir.«
»Eve ist nie krank«,
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