Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
es schnürte mir die Kehle zu.
»Ich hab dich lieb!«, schrie Silas, der ihm folgte.
In einem wilden Sprint rannten sie beide dem Käfig hinterher. Ich beobachtete, wie sich ihre Münder bewegten und diese Worte immer wieder riefen, während der Laster durch den Wald rumpelte und ihre kleinen Körper verschwanden, unerreichbar hinter den Bäumen.
DREIUNDZWANZIG
Der Laster schraubte sich das unebene Gelände hinauf, ließ Unkrautfelder und Dickicht hinter sich und erreichte schließlich eine beschädigte Straße. Die Reifen drehten sich schneller und bald waren die Kotflügel in Staub gehüllt. Die Sonne heizte den Metallkäfig auf, was jede Berührung mit den Stangen schmerzhaft machte.
Nach einer Stunde kam mir der Wald neben dem steinigen Weg nicht mehr bekannt vor. Selbst der Himmel schien fremd, seine blaue Weite war vogellos und einsam.
»Ich wusste es«, meinte Arden schließlich. Auf ihrer blassen Haut lag eine dicke Schmutzschicht. »Leif hat bloß darauf gewartet, uns zu verkaufen – und wofür?« Sie hielt sich zum Schutz vor der Sonne die Hand vor Augen. »Ein paar Medikamente und einen Anteil am Kopfgeld?«
»Er wollte mich loswerden«, sagte ich. »Was er dafür bekommen würde, war ihm egal.«
Ich überlegte, wie sich alles abgespielt hatte, ob er das dunkle Lagerhaus nach einem Funkgerät abgesucht hatte. Vielleicht hatte er es auch zufällig gefunden, als er nach Verbandsmaterial suchte, um die Blutung in seinem Mund zu stillen.
Wann Caleb wohl mitbekommen würde, dass ich verschleppt worden war? Würde er am Waldrand von seinem Pferd steigen und Benny und Silas am Eingang des Höhlencamps weinen sehen? Würde er sich hinknien und die langen Schleifspuren meiner Füße auf der Erde untersuchen und Leif dabei ansehen? Würde er mich vermissen? Würde es ihm etwas ausmachen?
Nichts davon hatte irgendeine Bedeutung. Es war vorbei. Es gab keine Möglichkeit, den Gitterstäben zu entrinnen, der sengenden Sonne, diesem Mann mit den gelben Zahnstummeln. Ich saß wieder in der Falle, neue Mauern hielten mich gefangen und brachten mich zum König. Die Stadttore würden sich öffnen und hinter mir schließen, es wäre ein weiteres Gefängnis.
Gefängnis nach Gefängnis nach Gefängnis.
Jenseits der Stangen zog die Welt vorbei, schneller, als ich es je wahrgenommen hatte. Bäume. Gelbe Blumen am Straßenrand. Alte Häuser mit eingestürzten Dächern. Ich entdeckte Hirsche und Kaninchen, zerbeulte Fahrräder, verrostete Autos und streunende Hunde. Wie Wasser in einem Abfluss glitt alles viel zu schnell an mir vorbei. Ich bin auf dem Weg in die Stadt aus Sand, wiederholte ich immer wieder in Gedanken, als könnte die Wiederholung die Angst in mir betäuben. Ich werde zum König gebracht. Ich werde Caleb niemals wiedersehen.
Arden betrachtete die Landschaft, sie hatte Tränen in den Augen. Sie hatte so viel aufs Spiel gesetzt, um der Schule zu entfliehen. Sie war so weit gekommen – und wozu? Um meinetwegen Fletcher ins Netz zu gehen? Ganz sicher grübelte sie über die dumme Entscheidung nach, die sie vor Wochen in jener Hütte getroffen hatte, und bedauerte, dass sie mir je erlaubt hatte, mich ihr anzuschließen.
»Es tut mir leid«, sagte ich mit gepresster Stimme. »Es tut mir so leid, Arden. Du wünschst dir bestimmt, du hättest mir nie erlaubt, bei dir zu bleiben.«
»Nein.« Arden umklammerte mit den Fingern die Gitterstäbe. Nach nur einer Stunde in der Sonne war ihre Haut bereits gerötet. »Überhaupt nicht, Eve.« Sie drehte sich zu mir und in ihren haselnussbraunen Augen glitzerten die Tränen.
In diesem Moment rührte sich das Mädchen in der Ecke. Sie setzte sich auf und rieb sich das Gesicht. Nachdem wir das Höhlencamp hinter uns gelassen hatten, war sie zu aufgelöst gewesen, um ein Gespräch mit uns anzufangen. Stattdessen hatte sie sich auf der heißen Metallladefläche zusammengerollt und war eingeschlafen, ihre Augenlider hatten gezuckt, als hätte sie Albträume.
»Wer seid ihr?«, fragte sie nun und fuhr zusammen, als ihre Haut die Gitterstäbe berührte.
»Ich heiße Eve. Und das ist Arden«, antwortete ich und deutete nach vorn. Im Führerhaus des Lasters drehte Fletcher gerade die Musik auf und grölte ein schrecklich hektisches Lied mit: I love rock ’n roll-oll-oll-oll.
»Ich heiße Lark.«
»Aus welcher Schule kommst du?«, fragte ich, als ich ihren Kittel bemerkte. Er hatte denselben sackartigen Schnitt wie unsere, war allerdings blau statt grau.
»Ich glaube
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