Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
kalten Hände oder mein steifes Dauerlächeln nicht bemerkte. Erst nachdem er, gefolgt von meinem Vater, das Zimmer verlassen hatte, fand Clara ihre Stimme wieder.
»Ich dachte, du liebst ihn nicht«, flüsterte sie langsam.
»Tue ich auch nicht«, antwortete ich.
Ich hatte Clara bereits wütend gesehen und konnte erkennen, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte, wie sich ihre Züge verhärteten. Dies jedoch war anders. Sie wandte mir den Rücken zu und lief im Zimmer auf und ab, wobei sie ihre Hände schüttelte, als versuche sie, sie zu trocknen. »Es ist nicht wahr, Clara«, sagte ich.
»Was ist dann wahr?« Sie starrte mich aus glasigen Augen an.
Ich hatte niemandem erzählt, was im Hangar mit Caleb passiert war. Es war mein Geheimnis, die Zuflucht, zu der meine Gedanken immer wieder zurückkehrten, wenn ich ihnen erlaubte abzuschweifen. Ich erinnerte mich, wie sich seine Hände angefühlt hatten, als er sie zärtlich in meinen Nacken legte, wie seine Finger, die über meinen Bauch tanzten, und der sanfte Druck seiner Lippen auf meinen. Wie unsere Körper sich zusammen bewegten und seine Haut nach Salz und Schweiß schmeckte. Nun existierte dieser Moment in meiner Erinnerung, ein Ort, den nur ich besuchen konnte, an dem Caleb und ich für immer allein waren.
Ich hatte die Warnungen der Lehrerinnen gehört und hatte alle Gefahren gelernt, die Sex zu haben oder mit einem Mann »zu schlafen« mit sich brachte. In jenen stillen Klassenräumen hatten sie uns erzählt, dass schon ein einziges Mal ausreichen konnte, um schwanger zu werden. Aber in den Monaten nach meiner Flucht hatte ich gelernt, dass ich nichts von dem, was sie gesagt hatten, Glauben schenken konnte. Und selbst wenn sie dieses eine Mal die Wahrheit gesagt hatten – wenn sie nichts übertrieben oder verfälscht hatten –, wäre es egal gewesen. In der Stadt gab es keine Möglichkeit, eine Schwangerschaft zu verhüten. Der König hatte es verboten.
So viele Gedanken schossen durch meinen Kopf: dass es besser wäre, wenn sie es nicht wüsste. Es wäre sicherer. Und ich einsamer. Ich wäre in größerer Gefahr, wenn sie es doch wüsste, aber ich würde mich wie eine Betrügerin fühlen, wenn ich es ihr nicht sagen würde. »Caleb«, sagte ich schließlich. Sobald mein Vater Charles erreichte, war es ohnehin vorbei. »Es war Caleb. Ich hab dir die Wahrheit gesagt – ich bin nicht an Charles interessiert. Das war ich nie.«
Sie ließ die Hände sinken. »Warum hast du es mir nie erzählt?«, fragte sie. »Wann?«
»In der letzten Nacht, als ich aus dem Palast geflohen bin«, antwortete ich. »Vor zweieinhalb Monaten.«
Sie nestelte an der Taille ihres Kleides und zupfte an der filigranen Stickerei. »Dein Vater darf es niemals erfahren«, sagte sie.
Ich stellte mir den Gesichtsausdruck meines Vaters vor, wenn Charles ihm die Wahrheit erzählte. Er würde die Lippen zusammenpressen wie immer, wenn er wütend war. Ein Anflug von Düsternis würde sich auf seine Züge legen, dann würde er sich zusammenreißen und sich mit der Hand übers Gesicht reiben, als könne diese eine Bewegung sein Aussehen wieder in Ordnung bringen. Er würde mich umbringen. In der Stille des Zimmers war ich mir dessen ganz sicher. Von nun an war ich nutzlos für ihn. Seit dem Mord an Caleb gab es so viele Fragen über mich, über meine Beteiligung am Bau des Tunnels. Hatte ich immer noch Verbindungen zu den Dissidenten? Hatte ich ihn seit Calebs Tod hintergangen? Ich durfte nur deshalb im Palast wohnen, aufbewahrt wie ein wertvolles Schmuckstück, weil ich dem Neuen Amerika eine königliche Familie schenken konnte. Ich war Genevieve, die Tochter aus den Schulen, die seinen Entwicklungsleiter geheiratet hatte. Sobald Charles die Wahrheit enthüllte, würde mein Vater einen Weg finden, mich zu töten. Vielleicht würde ich verschwinden, nachdem die Stadt sich schlafen gelegt hatte, so wie es mit einigen Dissidenten geschehen war. Sie konnten alles behaupten – ein Eindringling im Palast, eine plötzliche Krankheit. Alles.
Ich hatte keine Zeit, Clara noch mehr zu erklären, ihr die Wies und Warums aufzuzählen. Ich kniete mich hin und zog die dicken Bücher aus dem Regal. Das kleine Päckchen verbarg ich in der Seitentasche meines Kleides. Ich steckte das Messer und das Funkgerät in meine Handtasche und stand auf. Ich musste tun, was Moss gesagt hatte, musste die Sache durchziehen, bevor mein Geheimnis ans Licht kam. Wenn es sein musste, würde ich die Stadt noch
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