Eve und der letzte Englaender
winziger Clown in der Hand hielt. Und wieder nur ein Satz darauf – und ein Datum.
„ A Seaside Rendezvous – September 4 th “.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich schaute auf die drei Motive vor mir und mir wurde klar, was das ganze zu bedeuten hatte. Ich sollte nach England kommen, um Dom wieder zu sehen. In seinen Heimatort an der Küste. Ungeduldig öffnete ich den Brief vom Prüfungsamt. Bitte bitte, nicht am 4. September! Unglaublicherweise erhörte mich der Prüfungsgott, alle Termine lagen in der Woche danach. „Ich werde da sein“, schrieb ich an Dom, einen kurzen Moment zögernd, bevor ich auf „senden“ drückte.
Kapitel 10
Eve
Aus dem Zugfenster blickte ich auf die vorbeiziehende Küste, hinter der das Meer im Dämmerlicht glitzerte. Es konnte nicht mehr weit sein. In meinem Abteil saß eine ganze Horde Mega-Fanatics, die offensichtlich vorhatte, bis Konzertbeginn morgen Abend vor der Bühne zu kampieren. Den ganzen Weg seit sie mit mir in Exeter in den Zug gestiegen waren hatten sie einen Hit der Band nach dem anderen zum Besten gegeben und ich hatte unweigerlich in mich hineingrinsen müssen, als zwischen den Mädels der Gruppe die Diskussion darüber ausbrach, wer denn nun sexier war: James oder Dom. Plötzlich wandte sich eines der Mädchen an mich.
„ Und was meinst du? Du bist doch auch Fan, oder?“
Nun ja, es gab anscheinend ziemlich wenige Gründe außer diesem, sonst an diesen Ort zu fahren.
„ Ähm, also, ich finde ja Tom nicht schlecht“, stotterte ich.
Wenn ich jetzt über Dom hätte sprechen müssen, ich glaube, ich wäre implodiert. Es reichte ja schon, dass ich seit Wochen an nichts anderes mehr denken konnte als an ihn. Das hatte schon richtig ungesunde Dimensionen angenommen! Das Mädchen jedenfalls nickte anerkennend und begann Toms Vorzüge mit ihrer Gang zu erörtern. Ich schaute wieder aus dem Fenster. Erste Lichter waren zu sehen, die stetig heller wurden, bis sich endlich der kleine Bahnhof im Nirgendwo zeigte. Ich schloss meine Augen. Was würde mich jetzt erwarten? Ich spürte die Aufregung, die sich bis zu diesem Moment fast minütlich gesteigert hatte. Ich hatte mich auf Doms Spiel eingelassen, hatte mich in den Flieger gesetzt, den er für mich gebucht hatte, war in den Zug umgestiegen, in dem ein Platz für mich reserviert worden war. Mein Schicksal lag in seiner Hand. Wie es weitergehen würde, wusste ich nicht – in dem Umschlag mit den Reiseunterlagen, den Dom mir kurz nach der dritten Postkarte geschickt hatte, war kein Hinweis darauf. Das einzige was ich wusste, war: Morgen würden Mega hier spielen, am Arsch der Welt, in ihrer Heimatstadt.
Etwas verloren stand ich auf dem Bahnsteig und hörte jemanden schon zum zehnten Mal „Welcome to the hometown of Meeeeegaaaa“ rufen. Ich schaute mich um und sah überall Plakate, die darauf hinwiesen, was hier morgen stattfinden würde. Die ganze Stadt schien in Aufruhr zu sein. Ich war mittlerweile allein auf dem Bahnsteig, denn die Fanscharen hatten sich schon in Richtung Strandpromenade in Bewegung gesetzt. Ich wollte ihnen gerade hinterher eilen, unentschlossen wie ich war, da erblickte ich eine Traube roter Luftballons, die ein Clown fest hielt. Mitten in der Bahnhofsvorhalle. Ich versuchte mich ihm möglichst unauffällig zu nähern, vergeblich. Er drückte mir die Ballons in die Hand und war verschwunden. Man, musste ich bescheuert ausgesehen haben! Die Mädchen-Meute von vorhin giggelte mir schon hinterher. Oh, dieser Engländer! Understatement war ganz offensichtlich nicht sein Metier.
Ich verzog mich schnellstmöglich in eine Toilettenkabine, was mit einem Dutzend hinter mir herflatternden roter Dinger nicht wirklich einfach war. Ich schaute mir das Übel jetzt genauer an – und sah durch sie etwas hindurchschimmern. Kurzentschlossen holte ich meinen Schlüssel aus der Tasche und piekste in den ersten Ballon. Ein kleiner goldener Zettel segelte zu Boden, auf dem ein Buchstabe zu sehen war. Bäm – der nächste Ballon musste dran glauben. Noch ein Buchstabe kam zum Vorschein. Die Klofrau musste auch schon denken, ich wäre total bescheuert! Ich versetzte auch den restlichen Ballons ihren Todesstoß und sammelte die sechs Zettelchen ein, die in ihnen versteckt gewesen waren. Hm, mal schauen, was sich daraus basteln ließ. Nach mehrmaligem Hin- und Herschieben leuchteten vor mir zwei Worte auf: „The Bay“. Das musste es sein! Ich eilte aus der Kabine und fragte den
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