Eve und der letzte Englaender
daran wohl kaum etwas würde ändern lassen. Sie hatte ihre restlichen Prüfungen, ihr Leben und wir würden unsere Homecoming-Konzerte in unseem Heimatort an der englischen Südwestküste spielen. Unser neues Album veröffentlichen, durch Europa touren. Ich rief mir Georges Worte noch einmal ins Gedächtnis und spürte instinktiv, dass er recht hatte. Ich musste ihr Zeit geben, uns beiden. Wir waren von irgendwelchen unbegreiflichen Kräften zusammengeführt worden und jetzt mussten wir uns erst mal lösen, um – ich konnte nicht weiter denken, denn James stand plötzlich vor mir.
„ Hier bist du also. Ich dachte mir, ich sammle dich lieber mal ein.“
Er wusste irgendwie immer genau, wann er wo zu sein hatte. Erschreckend!
„ Das war sie also.“
„ Ja“, presste ich hervor.
Er grinste mich an und obwohl ich krampfhaft versuchte es zu unterdrücken, grinste ich zurück.
„ Siehst du, es hatte doch recht“, lachte James.
„ Es lügt nie!“
Ich schüttelte widerwillig den Kopf bei der Erinnerung an das, worauf James anspielte. „Offensichtlich nicht.“
Meine Gedanken schweiften zurück zu unserem letzten Abend in Italien, der wie so viele davor im völligen Rausch geendet hatte. James hatte George für sich in Beschlag genommen, auch weil ich schon fast am Einnicken war, und ihm von den übersinnlichen Fähigkeiten seiner Mutter und den nächtlichen Seancen im Hause Campbell in seiner Jugend berichtet. George, der sonst immer in seiner unnachahmlichen Art über James' Verschwörungstheorien und abstrusen Weltuntergangsszenarien hinweglächelte, horchte auf. War es der Alkohol, war es das Manische in James' Blick – ich wusste es nicht, jedenfalls fand ich mich schließlich in einem spontan zusammengebastelten Gläserrücken-Zirkel wieder.
„ James, das ist nicht dein Ernst. James!“, bekam ich gerade noch heraus, aber seine Besessenheit war schon auf George übergesprungen und ich fügte mich grummelnd in mein Schicksal. James schaute mit halb zusammengekniffenen Augen in unsere Dreierrunde, wohl noch in der Annahme, dass er hier den Zeremonienmeister spielen konnte. Er wollte gerade zur ersten Frage ansetzten, als George ihm ins Wort fiel.
„ Verrate uns, was James bald widerfahren wird“, fragte er an den Tisch gerichtet, auf dem nun die Buchstaben des Alphabets gegen den Uhrzeigersinn ausgelegt waren und unsere Zeigefinger auf einem umgedrehten Glas in deren Mitte ruhten. Obwohl ich jenseits von Allem war – Georges Spezialmischungen sei Dank – hatte ich das ungute Gefühl, dass mein väterlicher Freund schon längst wusste, was das Glas James gleich verraten würde. Wie von Zauberhand bewegte es sich auf den ersten Buchstaben zu. Ein „S“. Ich schloss meine Augen und driftete davon. Ich musste tatsächlich kurzzeitig eingeschlafen sein, denn als ich erwachte, schaute ich in das völlig entgeistertes Gesicht meines besten Freundes.
„ Was hat es gesagt?“, fragte ich besorgt in Georges Richtung, der ganz gelassen die Buchstabenfolge notiert hatte und mir jetzt den Zettel hinhielt. „SPLIT UP“ war darauf zu lesen. Spitze! James würde ab jetzt an nichts anderes mehr denken, das konnte ja heiter werden.
„ Eine Trennung, hmmm“, murmelte er auch schon wie versessen vor sich hin. George ließ sich davon nicht beirren und setzte zur nächsten Frage an, die nur mich betreffen konnte. Ich schluckte.
„ Wer ist Doms Muse?“, wollte er jetzt vom Board wissen und ich schaute ihn böse funkelnd an. George wusste genau, dass er mich mit diesem Thema ärgern konnte – hatte ich ihm doch neulich im Suff erklärt, dass ich im Traum einem Mädchen in einem Zauberwald begegnet war, die mir erst Flügel verliehen und sich dann in einen Fliegenpilz verwandelt hatte. Nun ja, vielleicht war das mal wieder eine der Nachwirkungen unserer spätjugendlichen Drogen-Experimente mit Pilzen aus Wald und Flur, dachte ich. George aber hatte mich nach meiner leicht euphorischen Schilderung nur mit seinem allwissenden Blick angesehen und gesagt: „Das ist deine Muse, Dominic.“
Das Glas brauchte eine halbe Ewigkeit, bis es sich bewegte. James starrte abwesend darauf, ich schloss wieder meine Augen, öffnete sie dann aber lieber wieder, um sicherzugehen, dass George die Antwort nicht manipulierte. Sein Zeigefinger sah allerdings so aus, als würde er das Glas wenn überhaupt nur mit seinem Fingernagel berühren. Ich spürte meinen Herzschlag, der merkwürdigerweise ganz
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