Eve und der letzte Englaender
noch mal die SMS, die ich vorhin von James bekommen hatte.
„ Weiß nicht, wo ich bin, verdammt! Dom und Eve sind weg – versuche den Weg zu finden.“
Das war vor über drei Stunden gewesen, aber bisher war James noch nicht aufgetaucht. Jetzt war es schon acht, eigentlich wollten wir alle zusammen zu Abend essen, aber Dom und Eve waren ja auch verschollen. Ich wählte James' Nummer und ließ es klingeln, bis die Mailbox ran ging.
„ James, wenn du das hörst, ruf' bitte zurück.“
Oh Gott, ich klang schon wieder wie der besorgte Papi. Meine beiden Bandmates machten einen aber auch wahnsinnig, da war eine Horde Kids geradezu entspannt dagegen. Ich steckte mein Handy wieder in meine Tasche und zog den Mantel eng um mich, als ich das Hotel verließ. Ich zog tief an meiner Zigarette und versuchte, mich in James' Psyche zu versetzen – wo würde ich hingehen, wenn ich er wäre? Mich mental in James Campbell hineinzuversetzen – das konnte ja nur böse enden… Aber es half ja alles nix. Ich wusste, dass die drei vorhin vorhatten, die Innenstadt zu erkunden, vielleicht hatten sie sich in den Menschenmassen verloren. Vor meinem inneren Auge blitzen einige Orte auf, die James mit Sicherheit magisch anziehen würden: Die Containerschiffe im Hafen. Die Verschwörungstheorie-Ecke in der örtlichen Universitätsbibliothek. Die zahllosen Spielhöllen dieser Stadt. Wenn ich Glück hatte, wurde mein Lieblings-Mitmusikant also gerade nach Panama verschifft – wenn es schlecht lief, musste ich ihn von der düstersten Poker-Höhle weit und bereit loseisen. Irgendetwas sagte mir, dass es sich diesmal ausnahmsweise eher um einen Fall der letzteren Sorte handelte. Ich seufzte leise auf, als ich meinen Kippe wegschnickte und mir ein Taxi herbeiwinkte.
Dom
Ich strich vorsichtig durch Eves Haar und betrachtete sie im orangefarbenen Licht, das der Hafen hereinwarf. Sie atmete leise und gleichmäßig und ich musste schon wieder schwer an mich halten, sie nicht wachzuküssen. Die Nähe ihres Körpers machte mich ganz schwach. Ich fuhr mit meinen Fingerspitzen ihren Hals hinab, zeichnete die Konturen ihres schlafenden Körpers nach. Sie war so schön, wie sie so dalag, in meinen Armen. Mein Herz zog sich zusammen, als ob der Schatten einer Wolke es berührt hätte. Sie hatte nichts erwidert, vorhin, als ich in ihr Ohr geflüstert hatte, leise und unsicher. Ich hatte das nicht geplant, vielleicht war es zu früh – doch mein Herz hatte einfach das gesagt, was es fühlte. Ich liebte sie, Eve, mein Fliegenpilzmädchen, die anziehendste, lustigste, klügste Frau der Welt.
Plötzlich klopfte es an der Tür – verdammt, ich hatte doch extra das „Do not disturb“-Schild hingehängt! Die Stimme war allerdings unverkennbar die von Tom. Ich überlegte kurz, mich aus Eves Umarmung zu lösen und zur Tür zu schleichen, entschied mich aber spontan dagegen, als sie im Halbschlaf an meinem Bein entlang streifte, und zog die Decke über unsere Köpfe. Sollten die anderen ruhig ohne uns den Abend verbringen.
Tom
Der Taxifahrer sah mich missmutig durch den Spiegel an. Gerade hatte er mich gefragt, wo ich denn hinwolle, und ich hatte nur mit den Schultern gezuckt und „keine Ahnung“ vor mich hingemurmelt.
„ Fahren Sie einfach los“, bat ich ihn.
Er wand sich wortlos ab und reihte sich in den dichten Verkehr am Hafen ein. Mein Blick glitt über die neon-orangenen Lichter, die Kräne und die Menschen, die an der Hafenpromenade entlangliefen. Ich hatte das Bedürfnis, mir gleich noch eine Zigarette zu genehmigen, erblickte aber gerade noch rechtzeitig das „No Smoking“-Zeichen und steckte die Packung unter dem beobachtenden Blick des Fahrers wieder weg. Stattdessen fing ich nervös an, meine Finger zu kneten.
„ Suchen Sie etwas bestimmtes?“, kam es von meinem Chauffeur.
„ Nein, ähm, ich meine, ja. Jemanden.“
Das Gesicht des Fahrers hellte sich schlagartig auf.
„ Dann weiß ich, wo sie hin möchten“, grinste er und bog links ab.
Er schien Gedanken lesen zu können, zumindest hoffte ich das. Denn ich hatte keine große Lust, ihm zu erklären, dass ich meinen irren kleinen Freund suchte, der sich anscheinend verlaufen hatte. Ich hoffte einfach mal darauf, dass dieser Typ genau die finsteren Ecken der Stadt kannte, in denen ich James vermutete. Vor uns erschienen die aufdringlich blinkenden Lichter der Reeperbahn. Wir waren schon mal hier gewesen, auf unserer letzten Tour.
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