Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Finger entlang zum Holunderbusch.
Der Braunhaarige seufzt. „Damit Sie nicht glauben, uns ist das alles egal: Wir werden es spurentechnisch behandeln.“
Mit einem Schlag wird mir klar, dass sie mein Mobiltelefon mitnehmen werden und dass ich mir das selbst eingebrockt habe. Der Braunhaarige holt aus seinem Aktenkoffer dünne Kunststoffhandschuhe und stopft sie in die hintere Hosentasche. Dann steigt er hinauf, deutlich leichtfüßiger als ich, und birgt die beiden mutmaßlichen Spurenträger.
„Krieg ich wenigstens meine SIM-Karte?“, will ich wissen.
Ja, die könne ich haben.
Ich kaufe mir bei Elektro Haas ein neues billiges Mobiltelefon, lege meine SIM-Karte ein und rufe Vesna an. Die keucht. Ja, sie sei noch am Laufen. Da ich nicht gekommen sei, habe sie eine Runde drangehängt. Wenn ich sie am Ende der Hauptallee abholen könne, wäre das großartig. „Aber ich schwitze“, warnt mich meine Freundin. Da habe ich in letzter Zeit schon Schlimmeres überstanden.
Vesna steht im Bademantel und mit einem Handtuch um die nassen Haare vor mir. Nicht besonders groß, aber drahtig. Unglaublich, dass sie bald fünfzig wird.
„Du hast keine Ahnung, wer das war?“, fragt sie.
„Nein, habe ich nicht.“
„Auch nicht, ob es Mann oder Frau war?“
Ich seufze. „Ich hab es dir schon am Telefon gesagt: Ich bin hinein in diesen Schuppen, dann war da ein Geräusch und schon habe ich eins über den Kopf bekommen.“
„Ein Geruch?“, probiert es Vesna noch einmal.
Ich schüttle den Kopf. Ich hab mir ohnehin schon das Gehirn zermartert. Aber da war kein Geruch. Abgesehen von dem nach Staub und Moder und altem Stroh.
„Obdachlose riechen meistens nicht gut“, erklärt meine frisch geduschte Freundin.
„Ich habe da drin nicht einmal die tote Ratte gerochen, so muffig war es. Was soll das außerdem? Glaubst du etwa auch, es war ein Landstreicher?“
„Musst nicht wieder anfangen von dem ekligen Vieh. Will es mir gar nicht vorstellen: Mit einer Ratte eingesperrt!“ Vesna rubbelt sich die Haare, wie um Gedanken an Ratten und Ähnliches zu vertreiben. Sieh an, es gibt also etwas, vor dem Vesna graust.
„Mit einer toten Ratte.“ Ich weiß ja selbst nicht, was ich glauben soll. Es gibt die eigenartigsten Zufälle. Ich mag die Theorie, dass unsere ganze Welt und ihre Entwicklung auf seltsamen Zufällen beruhen. Sonst hätte ein Gott bei der Planung und Ausführung doch ziemlich viele Fehler gemacht. Ist so jemand dann ein Gott? Ich fasse mir an die Beule. Au, besser nicht.
„Seltsam ist es schon: Zuerst stirbt Mutter von Céline und dann du wirst niedergeschlagen“, überlegt Vesna. „Vielleicht hat dein Telefon ja Spuren. Oder die Taschenlampe.“
Besonders interessiert scheint meine Freundin an dem Fall trotzdem nicht zu sein. „Man hätte mich beinahe umgebracht“, erinnere ich sie etwas gekränkt.
„Da braucht es schon mehr“, erwidert sie ungerührt. „Ich gehe mich anziehen.“
„Was ist los?“, frage ich. „Ist es der Hausabbruch, der dir im Kopf herumgeht?“
„Wie du würdest reagieren, wenn sie deine Wohnung, dein Büro einfach wegreißen wollen und du nichts tun kannst?“
Ich sehe mich in der Küche um. Gemütlich ist es hier. Die Einbaukästen sind Ikea-Standardausführung, der Tisch eine stinknormale längliche Holzplatte auf vier Beinen mit einem roten Leinentischtuch, alles einfach, aber zum Wohlfühlen. Absurd, dass da die Bagger drüberfahren sollen.
„Und es ist noch etwas“, murmelt Vesna und sieht auf den Herd, als würde ein Topf Milch übergehen. „Valentin. Irgendetwas hat er. Er verheimlicht mir etwas. Ich kann es nicht sagen. Vielleicht spinne ich auch bloß. Wahrscheinlich ich hätte ihn längst heiraten sollen.“
„Glaubst du, dass das was ändern würde?“
„Vielleicht braucht er es. Er ist ein attraktiver Mann. Der findet andere, die ihn gleich heiraten.“ Sie starrt noch immer auf den Herd.
Ich will die Stimmung lockern und sage: „Kannst ihm ja eine deiner Putz-Detektivinnen nachschicken.“
Vesna starrt mich empört an. „Nie würde ich so was tun!“
„Aber gib zu, daran gedacht hast du schon.“
„Na ja“, sagt Vesna so kleinlaut, wie ich es gar nicht von ihr kenne. „Weißt du, was? Wir sollten uns Cousine von Mutter von Céline ansehen. Immerhin ist es in ihrem Haus geschehen.“
Doris Hampel wohnt in derselben Siedlung, in der Roger lebt. Allerdings können Jahre vergehen, bis man sich hier zwischen den Wohntürmen einmal begegnet.
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