Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Risotto ist nur dann gut, wenn er auf den Punkt gegart ist.
Ich schneide Zwiebel und Knoblauch klein, hole eine Flasche Riesling aus Oskars Weinkühlschrank, fülle einen Viertelliter in einen Messbecher. In eine Kasserolle gebe ich ein großes Stück Butter und etwas Olivenöl. Der Entenfond kocht, ich stelle die Platte auf „warm halten“. Um mir eine Freude zu machen, hat Oskar vor einigen Monaten einen neuen Herd montieren lassen: Mit Induktion. Das Beste. Und trotzdem trauere ich manchmal dem uralten Gasherd in meiner Altbauwohnung nach. Offene Flamme: Da sehe ich sofort, wie ich dran bin. Den Provolone für das Sfornato schneide ich in feine Scheiben, er ist etwas angetrocknet, wir haben ihn schon eine Zeit lang im Kühlschrank, aber das macht in diesem Fall nichts. Die Birne, von der ich mir sicher war, dass es sie noch gibt, finde ich allerdings nicht. Oskar muss sie irgendwann einmal zwischendurch gegessen haben. Ich hab mich in den letzten Tagen nicht besonders um unsere Lebensmittelvorräte gekümmert. Muss ich auch nicht. Limette oder Banane? Ich entscheide mich für die Limette, schäle sie mit einem kleinen Messer so, dass nichts von der bitteren weißen Haut auf der Frucht bleibt, und schneide sie dann in dünne Scheiben, die ich mit Salz, Zucker und ganz wenig gemahlenem Chili würze. Die Rosenblätter habe ich inzwischen in eine Schüssel gezupft, sie riechen noch immer betörend. Ich kichere bei dem Gedanken, dass ich für unser Essen Blumen geklaut habe.
Es ist bereits acht vorbei. Ich sollte mir etwas vom Weinviertler Riesling nehmen. Die beiden Gläser Champagner sind längst Geschichte. Und sie waren ja auch nicht eben groß. Warum Evelyn wohl keinen Alkohol getrunken hat? Guten Wein gibt es in ihrer Gegend noch immer zu erstaunlich günstigen Preisen. Kann schon sein, dass das, was für mich günstig ist, für sie unter verzichtbaren Luxus gefallen ist. Nein, sie hat Alkohol grundsätzlich abgelehnt, von ihm komme alles Böse, hat sie Céline gesagt. Ihr Freund soll getrunken haben, bevor er in den Häcksler gekommen ist.
Endlich. Es läutet. Natürlich hat Oskar einen Schlüssel, aber er läutet, bevor er ihn im Schloss dreht. Er findet es höflicher, als quasi mit der Tür ins Haus zu fallen, auch wenn es das eigene ist. Ich halte es ebenso. Ich renne durch den großen Raum ins Vorzimmer, will ihn endlich wieder einmal zur Begrüßung umarmen. Es ist so schön, dass es ihn gibt. Die Tür geht auf, ich strecke die Arme aus – und erstarre. Neben ihm steht jemand. Carmen. Seine Tochter, von der er erst seit einem Jahr weiß. Siebenundzwanzigjährige höchst attraktive Schweizerin. Warum müssen die jungen Mädels alle so hübsch sein? Hätte er mich nicht wenigstens vorwarnen können? Ich lasse die Arme sinken, bemühe mich um einen freudigen Ton und sage: „So eine Überraschung!“ Oskar küsse ich kurz auf den Mund, Carmen auf beide Wangen.
„Hast du die SMS nicht bekommen?“, fragt Oskar.
Ich schüttle den Kopf. Dumme Ausrede. Aber ich werde gute Miene zum unerwarteten Spiel machen. Ich habe das Gefühl, dass ich Carmen so einiges schuldig bin. Letztes Jahr habe ich sie in eine Lage gebracht, aus der sie fast nicht mehr lebend herausgekommen wäre. Okay, sie lebt und sie ist da. Außerdem: Sie ist wirklich sehr nett. Aber der heutige Abend war anders geplant, ganz anders.
Sollten sie merken, dass ich nicht restlos begeistert bin, dann lassen sie es sich wenigstens nicht anmerken. Carmen bestellt Grüße von ihrer Mutter, Oskars Freundin aus Studienzeiten, und erzählt, dass sie, wenn es gehe, immer supergünstige Flüge nütze. Heute habe es einen um zwanzig Franken von Zürich nach Wien gegeben.
„Und wann wird es den nächsten günstigen Flug zurück geben?“, frage ich. Ich kann einfach nicht anders.
Oskar sieht mich strafend an. Ich sollte ihn strafend ansehen, die Sache mit der SMS ist ein Witz.
„Ach, wenn sich da in den nächsten ein, zwei Wochen nichts tut, dann nehme ich den Zug“, sagt Carmen unbeschwert. Man würde nicht glauben, dass sie bereits zwei Studien abgeschlossen hat. Politikwissenschaften und Italienisch. Momentan arbeitet sie an der Uni in Zürich. „Aber ich hab Zeit“, fährt Carmen fort. „Meine Assistenzstelle ist ausgelaufen. Ich überlege, ob ich nicht doch in Wien Umweltmanagement studieren soll. Das würde mich wirklich interessieren. Ist ohnehin nur ein Postgraduate. Und ich hab mich schon erkundigt: Politikwissenschaften als Vorstudium
Weitere Kostenlose Bücher