Everlasting
Vielleicht wollte sie ihn ja so haben.
«Kriegst du das hin?», fragte Eliana, die mit einem Tablett hereinkam und es aufs Bett stellte. Sie hatte Häppchen und zwei Tassen dampfenden Kaffee mitgebracht. «Caffè Latte, okay? Wir haben eine neue Espressomaschine.»
«Danke», sagte ich, nahm einen Schluck Kaffee und betrachtete den Zauberwürfel. Die Aufgabe zu lösen gehörte zu den Übungen, die Kinder mit frisch implantierten BBs machen mussten. Ich hatte es noch nie ohne meinen BB gemacht, traute es mir aber durchaus zu.
«Das ist das Projekt, an dem ich gerade arbeite», sagte Eliana, schlüpfte ins Bett und nahm sich ein Stück Käse. «Mit dem Architekten.»
Ich sah sie an. «Projekt?»
«Er macht bei einem Architekturwettbewerb mit.» Sie stützte sich auf die Ellbogen. «Eigentlich ist das wirklich lustig. Weißt du noch, wie ich dir am 1. Oktober 2007, an dem Tag, den du eigentlich vergessen hast, eine Jugendherberge gegenüber vom GASA G-Haus gezeigt habe?»
«Ja.»
«Und wie ich gesagt habe, ich würde mich wohl mein Leben lang mit dem Bau von Jugendherbergen rumschlagen müssen? Weißt du noch?»
Ich nickte und riss ein Stück Baguette ab.
«Tja, ob du’s glaubst oder nicht, bei dem Wettbewerb geht es um eine Jugendherberge, also um ein Jugendhotel», sagte Eliana und nahm den Zauberwürfel. «Der Architekt, für den ich arbeite, Jacob Sonntag, ist eingeladen worden, bei dem Wettbewerb mitzumachen. Und ich hatte die Idee, das Gebäude wie einen ungelösten Zauberwürfel zu gestalten. Und Jacob fand die Idee richtig gut. Natürlich wird der Entwurf unter seinem Namen eingereicht, aber was soll’s? Es ist eine tolle Erfahrung. Und es macht sich prima in meinem Lebenslauf.» Sie nahm den Zauberwürfel und spielte gedankenverloren damit herum, drehte die farbigen Flächen hin und her. «Ich dachte, der Zauberwürfel würde Teenagern und jungen Erwachsenen gefallen. Einerseits erinnert er sie an ihre Kindheit. Er ist verspielt, wie ein Spielzeug eben. Andererseits ist er auch irgendwie intellektuell. Also was für Erwachsene. Meinst du nicht auch?» Sie zeigte auf den Würfel. «Sieh mal, das da könnten Balkone sein. Da sind die Fenster –» Sie brach mitten im Satz ab. «Stimmt was nicht?»
Ich hatte am ganzen Körper Gänsehaut. War es möglich,dass mein Zuhause im Jahr 2265 ursprünglich von Eliana entworfen worden war? Der Gedanke war schlichtweg irre.
«Wo soll die Jugendherberge denn gebaut werden? Hier? In Berlin?», fragte ich.
«Im Berliner Norden. In Reinickendorf.»
Reinickendorf? Den Namen hatte ich schon irgendwo gehört, aber nein, mein Rubik stand im –»
«Im Märkischen Viertel», sagte sie und stand auf.
Das konnte nicht wahr sein!
Eliana ging zu ihrem Schreibtisch und kramte in den Papieren herum. «Das Märkische Viertel ist eine Siedlung in Reinickendorf. Hier habe ich ein paar Skizzen von dem Haus.» Sie kam mit etlichen Bogen Zeichenpapier zurück und hielt mir einen hin. Ich nahm ihn, aber noch ehe ich hinsah, wusste ich, dass es der Rubik war. Und dann sah ich hin. Und er war es.
«Ist was?», fragte Eliana. «Du siehst aus, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen.»
«Nein, alles bestens.» Ich nahm ihre Hand und küsste sie. «Das ist eine absolut geniale Idee. Du wirst gewinnen. Da bin ich sicher. Und noch für Hunderte von Jahren werden junge Menschen glücklich darin wohnen.»
Eliana schnaubte. «Ja, ja, schon gut. Nicht übertreiben.» Sie knuffte das Kissen hinter sich, um es ihrem Körper anzupassen, und lehnte sich zurück. «Okay. Jetzt bist du dran. Ich weiß absolut nichts über dich. Außer, dass du ein übler Nagelhautfetischist bist.» Sie lachte ihr leises kehliges Lachen.
Ich wusste, dass ich früher oder später etwas von mir würde erzählen müssen. Und jetzt war er gekommen – der Augenblick der Wahrheit. «Was möchtest du wissen?», fragte ich und knuffte auch mein Kissen zurecht.
«Also, fangen wir an mit deinem Alter.»
«Sechsundzwanzig. Mein Geburtstag ist im August.»
«Tatsächlich. Wann?»
«Am siebten.»
«Also am Sonntag», sagte sie.
«Sonntag?»
«Hallo?»
Ach ja, richtig! Ich hatte es wirklich vergessen. Ich war gedanklich noch immer auf Juni 2265 fixiert. «In der Tat. Sonntag, 7. August.»
«‹In der Tat›», ahmte sie mich nach. «Ich liebe dein Deutsch. – Dann bist du also am Sonntag sechs Jahre älter als ich.»
«Augenscheinlich.»
«Du hast einen Beruf, vermute ich?»
«Ja. Ich bin
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