Everlasting
Sätze. Er zählte 219 Wörter, davon 12 «ich», das Pronomen der ersten Person Singular. Ich dies. Ich das. Ich, ich, ich. E hielt sich eindeutig für den Mittelpunkt ihres Universums. Waren 2003 alle jungen Mädchen dermaßen egozentrisch gewesen? Finn las weiter.
Du bist bestimmt schon schrecklich gespannt, was ich zum Geburtstag gekriegt habe, also will ich es Dir verraten.
Finn unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen. Er hatte ein wissenschaftliches Interesse daran, zu erfahren, was das Mädchen zum Geburtstag bekommen hatte, ja, aber schrecklich gespannt war er nun wirklich nicht.
Mama und Papa haben mir Folgendes geschenkt:
einen iMac! Nur für mich allein! (Bestimmt Papas Idee.)
ein pink-schwarzes Princess-Skull-Skateboard
einen Gutschein für ein Paar Chucks
zwei total alte (und wahrscheinlich voll langweilige) Bücher: «Stolz und Vorurteil» von Jane Austen und «Jane Eyre» von Charlotte Brontë (sicher auf Mamas Mist gewachsen)
eine Packung mit 10 Metallic-Gelstiften. Ich habe ihnen Namen gegeben:
Richtig Rot Magisches Magenta Rosen Rosig Olé Orange Go-Go Gold So So Silber Trau Blau Kühnes Grün Liebliches Lila.
Das Mädchen hatte jeden Namen in der entsprechenden Metallic-Farbe geschrieben. Finn schmunzelte über Namen wie Richtig Rot, Magisches Magenta und Rosen Rosig – das Mädchen hatte offenbar einen Hang zur Alliteration.
Er hielt das Buch ins Licht. Die Metallic-Farben schimmerten, das Tru-Copy-Labor hatte gute Arbeit geleistet. Er strich sachte mit den Fingern über die Seite und spürte die sanften Hügel und Täler, die der Kugelschreiber vor vielen hundert Jahren auf der Seite hinterlassen hatte. Er wusste von seiner Mutter, dass Kugelschreibertinte oft schmierte. So zum Beispiel das «s» am Ende von «Chucks». Chucks. Was war eigentlich «ein Paar Chucks»? Socken? Oder vielleicht Handschuhe? Ohrschmuck? Er würde das Wort selbst bei Cyclops durchlaufen lassen. Man machte sich unbeliebt, wenn man die Archivleute beanspruchte, bevor man selbst versucht hatte, Begriffe zu cloppen.
Finn schickte
iMac
,
Princess Skull
und
Chucks
an seine B B-Hauptinformationsbank , die größte Faktensammlung der Welt, die allumfassende, allwissende
Encyclopedia Universa
, genannt Cyclops. Sofort tauchten Bilder vor seinemB B-Raster auf. Ach so. Ja – klar. Der iMac. Ein Computer. Das hätte er noch aus seinem «Geschichte der Informatik»-Kurs in der Schule wissen müssen. Und Chucks waren, wie er jetzt sah, eine Art Schuhwerk, das nach seinem Schöpfer, einem Mann namens Chuck Taylor, benannt worden war und aus Segeltuch und Gummi bestand. Es war im ausgehenden zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhundert bei jungen Leuten sehr beliebt gewesen. Ein körniger C-digi demonstrierte, was Chucks und «Princess Skull» miteinander zu tun hatten: Ein Mädchen, das überknöchelhohe rot-weiße Chucks trug, hielt ein pinkfarbenes Skateboard so in die Kamera, dass die Abbildung auf der Oberseite zu erkennen war: ein Totenschädel mit Krone über gekreuzten Knochen, das Ganze umringt von Blumen und Herzen. Der Eintrag lieferte Verweise auf Gothic-Mode, Punk-Mode, Piratenmode, Manga-Mode, weibliche Teenagermode im zwanzigsten Jahrhundert … die Liste nahm kein Ende. Finn speicherte die Informationen und las weiter.
Von Robert habe ich zwei DVDs gekriegt, «Matrix» und «A.I. – Künstliche Intelligenz», obwohl ich mir ausdrücklich «Notting Hill» und «Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück» gewünscht hatte. Er hat gesagt, ich hätte einen schlechten Geschmack. Ich habe gesagt: «Wenigstens habe ich überhaupt Geschmack.» Mama hat gesagt: «Kinder, hört auf zu zanken», und Madeline hat gesagt: «Ich habe Hunger.»
Mama hat mir Oma Uschis Geschenke gegeben: Eine Flasche «Everlasting» und einen wattierten BH, der mir ein klein bisschen zu groß ist, vielleicht eine Körbchengröße. «Drei Körbchen!», hat Mama gesagt und gelacht, als ich ihn anprobiert habe, und das hat mich ganz schön gekränkt. Als ich mein Nachthemd drübergezogen habe, konnteman gar nicht mehr sehen, dass er nicht richtig passt (auch wenn ich ein bisschen sehr vollbusig aussah). Madeline hat mit dem Zeigefinger in das rechte Körbchen gepiekst und eine Delle reingemacht. «Sieht aus wie ein Krater», hat Robert gesagt. «Ein Krater nach einem Meteoriteneinschlag.» Und alle haben sich nicht mehr eingekriegt vor Lachen. Alle außer mir, natürlich.
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