Everlasting
sich ein bisschen.»
«Verzögert sich?», jammerte er.
«Es ist nichts Außergewöhnliches. Keine Sorge!»
Finn war nicht besorgt. Er war einfach nur ungeduldig.Er hatte Eliana seit Wochen nicht gesehen. Andererseits wartete Eliana schon sehr viel länger auf ihn. Er sollte sich ein Beispiel an ihr nehmen. Jammerte sie die ganze Zeit? Nein.
«Solche Störungen kommen ziemlich oft vor», erklärte Rouge. «Und es ist gut, dass wir sie
jetzt
entdeckt haben. Besser jetzt als später.» Sie strahlte ihn an. «Du siehst gut aus, Finn. Von der Seeluft hast du richtig Farbe bekommen. Du hast uns wirklich ein bisschen Sorgen gemacht. Fühlst du dich gut, ja?» Sie nippte an ihrem Tee und schien darauf zu warten, dass er etwas sagte.
Finn überlegte, ob er ihr von Eliana erzählen sollte, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Konnte er Rouge
wirklich
vertrauen? Sie war nicht immer ehrlich zu ihm gewesen. Vorsicht war vermutlich besser.
Aber irgendjemandem
musste
er von Eliana erzählen, sonst würde er platzen. Er hatte schon angefangen, Selbstgespräche zu führen. Manchmal, wenn er am Strand spazieren ging, sagte er zu den Sandkrebsen: «Sie liebt mich, wisst ihr?», und dann huschten sie davon, um die Neuigkeit weiterzuerzählen. Wenn er schwimmen ging und zufällig an einer Qualle vorbeikam, rief er ihr zu: «He, schon gehört? Sie liebt mich!» Und die Qualle winkte lässig mit den Tentakeln: «Herzlichen Glückwunsch!» Nachts flüsterte er den Sternen zu: «Sie liebt mich. Von Herzen.» Und die Stirne zwinkerten zurück.
Aber irgendwie reichte das nicht. Er musste seine neuen Gefühle auf andere Art und Weise ausdrücken, anders loswerden. Früher hatten die Leute gesungen oder gemalt oder Klavier gespielt. Oder wie Eliana Tagebuch geschrieben. – Und auf einmal wusste er, was er tun musste.
Der Forester Raoul Aaronson war amüsiert. Er kannte Finn Nordstrom praktisch schon sein Leben lang, und es gab kaum einen Städter, den er lieber mochte. Dennoch, Finns Schreibleidenschaft überraschte ihn. Noch nie hatte ein Städter eine solche Begeisterung für die Kunst des Schreibens an den Tag gelegt. Auch Colin, sein fünfjähriger Sohn, war von Finn fasziniert und sah aufmerksam zu, wie Finn in Druckbuchstaben ein «C», ein «o», ein «l», ein «i» und dann ein «n» schrieb. Und dann seinen Nachnamen.
«Papa, guck mal», sagte Colin. «Er hat meinen Namen geschrieben.»
«Das lernst du auch bald in der Schule», sagte Raoul.
«Schreib mal Mamas Namen», sagte Colin zu Finn. «Carmine Marion Aaronson.»
Der Name schwebte einen Moment in der Luft. Alle drei lauschten seinem Klang hinterher, als wäre es der Gesang eines Vogels.
Raoul hatte seine Frau vor zwei Jahren bei der Geburt ihrer Tochter verloren. Niemand hatte das kommen sehen, sonst hätte Raoul sie für die Entbindung nach Toronto gebracht. Er zählte zu den eher fortschrittlichen Forestern, die nicht das Geringste gegen moderne Technologie einzuwenden hatten, wenn sich damit ein Menschenleben retten ließ. Aber für Carmine und das Kind kam jede Hilfe zu spät. Seitdem zog Raoul Colin allein groß und kümmerte sich ansonsten um sein Geschäft. Dabei gab es genug Forester-Frauen auf der Welt, die ihn gern geheiratet hätten. «Ich bin noch nicht so weit», sagte er immer, wenn jemand ihn danach fragte. Gelegentlich ging Raoul auf Tagungen und Messen außerhalb der Forester-Kolonien, denn ihm war es wichtig, die Druck-, Buch- und Holzindustrie derForester leistungsfähiger zu machen. Den meisten Neuerungen stand er misstrauisch gegenüber, aber technisch versiert, wie er war, kehrte er mitunter mit frischen Ideen nach Hause zurück.
Raoul war mit einem Satz bei seinem Sohn und hob ihn schwungvoll hoch. «He, Colly Dolly, Finn muss jetzt los. Er nimmt das nächste Swuttle zurück nach New York.»
Finn stand auf, und Raoul brachte ihm ein Buch mit einem Ledereinband. Es hatte eine schöne Cognacfarbe, die Finn an Elianas Everlasting erinnerte, wenn er die Flasche ans Licht hielt. Finn öffnete das Buch und fuhr mit den Fingern über die cremefarbenenen Blätter.
«Hat Carmine gemacht», sagte Raoul. «In Handarbeit. Wir haben noch ein paar. Für Freunde.»
Finn roch am Papier.
«Tintoretto, Crema, 140 Gramm», sagte Raoul.
«Dieser Freund weiß das Buch zu schätzen», sagte Finn. «Vor allem jetzt, wo er weiß, dass Carmine es gemacht hat.»
Finn umarmte den kleinen Colin kurz zum Abschied, und dann gingen er und Raoul den Weg
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