Everlasting
entfernt.
Er stand auf.
Aber dann setzte er sich wieder hin. Wo war sein Austrittspunkt? Hier? Oder der Ludwigkirchplatz? Und wo war Rouge? Vielleicht sollte er lieber hierbleiben und den Morgen abwarten. Er sah sich um. Der Gedanke, hier drin zu schlafen, war nicht sehr verlockend.
Er rappelte sich hoch und öffnete die Tür.
Finn bog links in die Wilmersdorfer Straße. Aber es war nicht die Straße, die er kannte. Es war eine einzige Einöde. Zerbrochene Fenster. Müll auf den Bürgersteigen. Verfallene Häuserfassaden. Türen, die quietschend in den Angeln hin und her schwangen. Männer lagen in Eingängen, zum Schutz gegen die Kälte mit Zeitungspapier bedeckt. Ein tiefes Grauen erfasste Finn. War er im Dark Winter gelandet? Eine Zeitung flatterte im Wind an ihm vorbei. Er jagte ihr hinterher und blickte auf das Datum.
26. April 2009 – die Zeitung vom vorigen Tag.
Puh.
Dennoch, irgendetwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht.
Zwei Betrunkene torkelten grölend an ihm vorbei. Das explosionsartige Knattern eines einsamen Motorrads hallte durch die Kantstraße. Eine blaue S-Bahn donnerte über ihm vorbei und hielt mit quietschenden Bremsen. War die Berliner S-Bahn nicht gelb und rot? Er hörte Schritte. Verfolgte ihn jemand? Er fuhr herum und sah einen großen Mann in einem grauen Mantel und mit einem grauen Filzhut. Der Mann griff nach etwas in seiner Tasche. Finn wollte gar nicht wissen, was darin war. Er rannte um sein Leben und hielt erst vor Elianas Haus an.
Aber es war nicht wirklich ihr Haus. Die Fenster und die Eingangstür waren mit Brettern vernagelt. Die Sprechanlagehing lose an nackten Drähten herab und pendelte im Wind hin und her, schlug gegen die marode Fassade. Er las die Namen auf den Klingelschildern. Da stand «Lorenz», aber durchgestrichen.
Er hörte raues Gelächter von der anderen Straßenseite. Einige Jugendliche lungerten vor einer Kneipe herum.
Finn war halb erfroren. Seine Chucks waren vom Schnee durchnässt. Ihm klapperten die Zähne.
Er ging über die Straße.
In der Kneipe roch es nach Zigaretten und Bier. Aber wenigstens war es hier warm. Weiter hinten sah Finn einige junge Männer um einen großen Tisch herum stehen. Sie hatten lange dünne Stöcke in der Hand und stießen damit gegen irgendwas. Kugeln vielleicht? Er hörte ein rollendes Geräusch und dann machte es
klack-klack-klack
, und irgendwas fiel in ein Loch.
Plong. Plong
.
Finn setzte sich an die Theke und bestellte einen heißen Tee.
«Einen watt?», fragte der Wirt. Er beugte sich vor, und Finn sah, dass seine Arme tätowiert waren.
Finn räusperte sich. Vielleicht war das «heiß» zu viel verlangt. «Einen Tee, bitte», sagte er.
«He, Es Em», rief der Wirt durch den Raum zu dem großen Tisch mit den Kugeln hinüber. «Haste dat gehört? Der Kleine Lord hier will ’nen Tee haben. Haben wir Tee?» Er lachte und wandte sich wieder Finn zu. Er hob die Stimme und ahmte eine Frauenstimme nach. «Was darf’s denn sein? Fencheltee? Pfefferminztee? Kamille?»
«Wo ist das Problem?», knurrte eine Stimme hinter Finn.
«Entschuldigung», sagte Finn und drehte sich um. «Ich habe bloß –»
Er erstarrte. Es war der Schauspieler Sam Maarten, Sam der Widerliche, wobei dieser einen dicken Bauch und einen geschorenen Kopf hatte. Ihm fehlten ein paar Zähne, und die, die er noch im Mund hatte, sahen irgendwie bemoost aus, als wüchse ein Pilz auf ihnen.
«Wir haben keinen Tee», sagte der junge Mann namens Es Em. «Und was bildest du dir eigentlich ein, einfach hier reinzuschleichen?» Er packte Finn an der Kapuzenjacke. «Igitt. Du stinkst, Kotzgesicht. Raus mit dir.» Er zog Finn von dem Hocker und stieß ihn Richtung Tür. Finn hörte draußen einen Hund bellen, die Tür flog auf, und herein kam der Hund, ein knurrender, bellender Pitbull. Und dann trat seine Herrin ein. Es war Eliana.
«Eliana!», rief Finn.
Vor lauter Erleichterung, Eliana zu sehen, fiel Finn gar nicht auf, dass ihr Haar strähnig und ungewaschen war, ihr Make-up zu dick, ihre Wimpern angeklebt, ihre Kleidung völlig daneben. Sie trug eine Lederjacke, einen hautengen, schwarzen Minilederrock und schwarze Lacklederstiefel mit Stilettoabsätzen. Sie blickte Finn aus zusammengekniffenen Augen an. «Wer bist du denn?», sagte sie. «Hau ab!»
Finn griff nach ihrem Arm. «Aber –»
Sie wich zurück. «Verpiss dich, Arschloch!»
«Eliana! Ich bin’s doch, Finn.»
Sie stieß ihn weg. «Ich heiße Helena, nicht
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