Everlasting
hinunter zur Straße, wo die E-Bushaltestelle war.
«Wozu brauchst du das Buch eigentlich?», fragte Raoul.
«Zum Schreiben», sagte Finn. «Was denn sonst?»
Finn hatte einige Tage lang nachgedacht. Als er am 3. Mai 2265 schließlich am Sonnenblumentisch Platz nahm, wusste er, dass er die wahre Geschichte seines Lebens in den vergangenen Monaten schreiben wollte. Er würde mit dem Tag beginnen, an dem er zum ersten Mal von dem Bodden-Fund erfahren hatte – dem Tag, als Rouge ihn auf Fire Island besuchen kam.
Finn zog die Kappe von dem Platinstern-Füllfederhalter, schlug das Buch auf und begann zu schreiben.
Finn setzte den Moon Zoomer auf und schaute in den tiefen Nachthimmel. Zwischen den schwach glitzernden Sternen konnte er einen Space-Racer ausmachen, der Geologen zum Mars brachte. Oder waren sie auf dem Weg nach Hause? Aus dieser Entfernung war das schwer zu erkennen. Oh! – die Scheinwerfer des Racers blinkten grün. Vielleicht ein Grußsignal für den Sonnenkreuzer weiter rechts, vollbesetzt mit Bungee-Jumpern, vermutete Finn. Er mochte sie nicht, diese Sprünge in die Schwerelosigkeit, diese Suche nach dem ultimativen kosmischen Kick.
Finn schrieb weiter. Wort für Wort, Satz für Satz, Absatz für Absatz. Bald füllte er Seite für Seite, und dann war ein Kapitel fertig. Er war bei der Übergabe von Elianas Tagebuch angelangt:
Der glänzende Kunststoffumschlag – Vinyl wahrscheinlich – war pink. Sehr pink. Grellpink. Sie hatten diese Farbe früher Hotpink genannt. Oder Neonpink. Er war mit winzigen roten Herzen bedruckt. Mit Herzen und Blumen und Schmetterlingen.
Plink!
Ein Plinkblink unterbrach Finns Arbeit. Es war Professor Grossmann. «Mr. Nordstrom», sagte er, «wir sind so weit.»
18 Krach! Knack! Platsch!
Irgendwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht.
Auf dem Weg nach Berlin-2009 war zuerst alles ganz normal gelaufen. Finn erlebte seinen «Moment davor», dieses eigenartige Gefühl von Angst und gespannter Erwartung, und dann hatte er, wie immer, gespürt, wie er gedehnt wurde, mehr und mehr, bis er dünner als eine Spaghettinudel war, und dann –
wusch!
– wurde er durch ein winziges Loch in einen langen Tunnel gesaugt. Aber als er diesmal wieder aus dem Tunnel herauskatapultiert wurde und zurück in seinem eigenen Körper war, war es nicht wie sonst – so als würde er schweben. Stattdessen wurde er hochgehoben und gegen eine Wand geschleudert.
Klatsch!
Einmal. Zweimal. Dreimal. Sein Magen revoltierte.
Sein letzter Gedanke galt Eliana: Sie wusste nicht einmal, dass er sie liebte. Sie würde es nie erfahren.
Finn schlug die Augen auf. Er lag mit seinem Gesicht in einer Wasserpfütze. Nein – es war eine Urinpfütze. Er roch etwas Säuerliches und wusste, es war sein eigenes Erbrochenes. Er konnte sich nicht bewegen – sein Körper war vollkommen zerstört. Aber dann sah er, dass er die Finger noch krümmen konnte. Er stützte sich langsam auf die Ellbogen. «Rouge?», röchelte er.
Keine Antwort.
«Rouge?»
Er hörte jemanden schluchzen. Seine Augen huschten durch die kleine City Toilette. Rouge war nirgends zu sehen. Und dann begriff er, dass er selbst es war, der da schluchzte.
Er rappelte sich auf die Knie. Dann stand er auf – ganz vorsichtig. Alles um ihn herum drehte sich. Ihm wurde schlecht. Er wankte zu der Toilette. Und übergab sich.
Als nichts mehr in ihm war, lehnte sich Finn erschöpft gegen das Waschbecken. Er ließ das Wasser laufen. Er reinigte sich das Gesicht und wusch ein paar Tropfen Erbrochenes von der Kapuzenjacke. Dann öffnete er die Tür. «Rouge?», rief er.
Es war niemand da.
Wo war er? Es war zu dunkel, um irgendwas sehen zu können. Wieso war es Nacht? Und wieso lag Schnee? Es war ja eiskalt! Und der Wind heulte. Es hätte Mittagszeit sein müssen. Ein milder Apriltag. Der 27. April. Ludwigkirchplatz war ihr Einstiegspunkt. War das der Ludwigkirchplatz?
Finns Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Er erkannte die Fußgängerzone auf der Wilmersdorfer Straße. Aber irgendwie sah sie anders aus.
Er ging zurück in die City Toilette und setzte sich auf den Klodeckel. Was nun? Vierundzwanzig Stunden waren eine lange Zeit, wenn man am falschen Ort alleine festsaß. Er trug Sommersachen – Jeans, T-Shirt und Kapuzenjacke –, und draußen war tiefster Winter.
Endlich traf er eine Entscheidung. Er würde tun, was er geplant hatte: Eliana besuchen. Ihr Wohnhaus lag nur wenige Minuten
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