Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
steht vor ihm, und er hält ein Buch von Terence McKenna in der Hand. »Guten Tag, meine Damen«, sagt er und lässt sein perfektes Lächeln aufblitzen.
Ich habe das Gefühl, als hätte sich ein Metallriemen um meine Brust geschlossen, der mich am Atmen hindert. »Hallo«, murmele ich. Mrs. Morgan sieht mich verwirrt und erwartungsvoll an. »Mom«, erkläre ich, »das ist Mr. Shaw, unser Vertretungslehrer in Biologie.«
»Sehr erfreut«, erwidert Cyrus und nimmt ihre Hand. »Sie müssen Mrs. Morgan sein?«
»Nett, Sie kennenzulernen«, antwortet sie, und ich krümme mich innerlich, als sie ihm ein warmes Lächeln schenkt.
Er kann so verdammt charmant sein, wenn er will, und verbirgt das Monster, das er in Wirklichkeit ist, so geschickt. Seine Opfer hatten noch nie eine Chance. Ich muss Kaileys Mutter so schnell wie möglich von ihm wegbringen.
»Ich habe gerade erst erfahren, dass ich die Klasse für den Rest des Halbjahres unterrichten werde«, sagt er, trinkt von seinem Cappuccino und schafft es irgendwie, keinen Schaum auf der Oberlippe zurückzubehalten.
»Wie bitte? Wieso das denn?«, frage ich. »Was ist mit Mr. Roberts?«
Cyrus sieht mich mit leicht zusammengekniffenen Augen an. »Er hat beschlossen, ein Sabbatical zu nehmen. Er brauchte dringend eine Auszeit.«
Ich weiß, dass er lügt. Warum sollte Mr. Roberts einfach gehen, ohne uns etwas davon zu sagen? Es würde mich nicht überraschen, wenn Cyrus meinen Biolehrer einfach umgebracht hätte. Die Vorstellung bereitet mir Übelkeit. Aber ich lächele nur noch breiter.
»Schön für ihn. Meine Mom und ich wollten gerade gehen, wir sehen uns dann also morgen.« Ich versuche, so entspannt wie möglich zu klingen, und entferne mich langsam. »Komm schon, Mom.«
»War schön, Sie kennenzulernen, Mr. Shaw«, sagt sie, ehe sie mir zögernd folgt. »Er wirkt sehr nett«, bemerkt sie, als wir im Auto sitzen und uns anschnallen.
»Das ist er auch«, lüge ich.
Ich muss daran denken, wie ich früher mit Cyrus Schach gespielt habe. Es war sein Lieblingsspiel, und er war sehr gut darin. Ich habe nur einmal gegen ihn gewonnen, woraufhin er das Spielbrett gegen die Wand des Salons geworfen hat. Das Holz ist gesplittert und eine der Königinnen zerbrochen.
Plötzlich bin ich stinkwütend. Hass ballt sich in meinem Herzen zusammen wie eine Schlange, die sich auf einen Angriff vorbereitet. Je länger ich an Cyrus’ lächelndes Gesicht und seinen perfekten schwarzen Anzug denke, desto aggressiver werde ich. In nur einem Tag hat er es geschafft, alles zu bedrohen, was mir ans Herz gewachsen ist. Ich habe mich Hunderte von Jahren seinen Regeln gebeugt – habe versucht, ihn zu beruhigen, ihn zu besänftigen, ihm zu helfen. Für nichts und wieder nichts. Es hat ihn nicht davon abgehalten, Menschen zu verletzen, sinnlos zu töten oder brutal zu handeln. Jetzt ist er wieder hier und zerstört das bisschen, das ich mir aufgebaut habe, so gedankenlos, als würde er einen Teller auf den Boden werfen.
Cyrus ist so unglaublich arrogant. Er hat nicht einmal versucht, sich vor mir zu verbergen, sondern ist einfach in seinem alten Körper in die Berkeley High einmarschiert. Er denkt wohl, er kennt mich so gut und geht davon aus, dass ich sofort erröten würde, wenn ich ihn sehe, dass ich stottern oder mich sonst wie verraten würde. All das ist nicht passiert, und ich bin deswegen sehr stolz auf mich.
So leicht wird er mich nicht zu fassen bekommen. Heute Nacht werde ich abhauen. Wenn ich gehe, sobald die Morgans eingeschlafen sind, habe ich wenigstens eine Nacht Vorsprung. Sollten Kaileys Eltern mich am nächsten Morgen nicht vorfinden, werden sie mich als vermisst melden. Bis dahin muss ich so viel Abstand wie möglich zwischen sie und mich bringen. Ich stelle mir den Moment vor, wenn ich morgen nicht im Biologieunterricht auftauche. Cyrus wird ganz sicher sofort wissen, dass ich Kailey bin. Ebenso wird er wissen, dass diese Runde an mich geht. Dass ich abhauen konnte, bevor er mich erwischt hat.
Dann kommt mir jedoch ein Gedanke, bei dem mir schwindelt: Cyrus will, dass ich weglaufe. Natürlich! Deshalb hat er sich keinen neuen Körper gesucht. Nicht Arroganz war der Grund – es war ein wohldurchdachter Schachzug. Wenn ich weglaufe, weiß er, wer ich bin und nach wem er suchen muss. Ich atme erleichtert aus, als ich merke, wie nahe ich daran war, ihm in die Hände zu spielen. Er kennt mich wirklich zu gut.
Wenn ich nicht weglaufe, sondern cool bleibe und mich
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