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Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)

Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)

Titel: Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avery Williams
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Seine Familie bricht auseinander, und er hat niemanden, mit dem er reden kann. Niemanden, der seine Hand hält.
    Ich weine auch um Leyla, die fröhliche, lebhafte Leyla, die immer eine schlagfertige Antwort parat hat und deren beste Freundin verschwinden wird. Was wird der Verlust mit ihr anrichten? Ich weine um Charlotte, die ich bereits verloren habe. Und ich weine um die Morgans, die so nett zu mir waren. Die ohne ihr Wissen jenes Mädchen aufnahmen, das das Leben ihrer Tochter nicht retten konnte, und ihm zeigten, wie herzlich eine Familie sein kann.
    Das Schluchzen wird stärker. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so heftig geweint habe. Es muss Hunderte von Jahren her sein. Ich weine auch um mich, das vierzehnjährige Mädchen, das dem Sohn des Alchemisten aufgefallen und dann am Fluss gestorben ist. Das Mädchen, das für immer leben kann, aber niemals erwachsen wird. Ich weine um all die Mädchen, deren Körper ich mir bisher genommen habe, um die verlorenen Mädchen, deren Familien ihre Töchter nie wiedergesehen haben.
    Irgendwann versiegen die Tränen. Ich bin völlig dehydriert, weshalb ich in die Küche gehe, ein Glas mit Wasser fülle und es noch an der Spüle im Stehen austrinke. Gerade fülle ich es erneut, als ich hinter mir eine Stimme höre, die mich beinahe zu Tode erschreckt.
    »Weißt du ein Wort mit fünf Buchstaben für ›Verwandter der Giraffe‹?« Mrs. Morgan sitzt mit einem Kreuzworträtsel am Küchentisch und tippt sich mit dem Radiergummiende eines stumpfen Bleistifts nachdenklich an die Lippen. »Der zweite Buchstabe ist ein K. Zumindest glaube ich das.«
    »Lass mal sehen.« Ich werfe einen Blick auf die betreffende Stelle. »Versuch es mal mit OKAPI.«
    Sie hebt die Augenbrauen. »Du hast recht. Ich glaube, dieses Wort habe ich bisher noch nie gehört.« Sie seufzt und sieht dann zu mir auf.
    »Geht es dir gut? Deine Augen sind ganz rot.«
    »Vielleicht bin ich auf etwas allergisch«, erwidere ich und trinke noch einen Schluck Wasser. »Du bist früh daheim«, wechsele ich rasch das Thema.
    »Ich weiß. Meine Nachmittagstermine wurden abgesagt, deshalb bin ich gegangen. Ich weiß nicht so recht, was ich mit mir anfangen soll. Hey, sollen wir shoppen gehen? Natürlich nur, wenn du Zeit hast.« Sie ist hoffnungsvoll, erwartet aber nicht zu viel.
    Ich erkenne, dass sie es gewohnt ist, von Kailey zurückgewiesen zu werden. »Mit Mom herumhängen« steht wohl bei keinem Teenager sonderlich hoch im Kurs.
    »Klar«, erwidere ich.
    »Wirklich? Okay, Malutensilien oder etwas zum Anziehen. Du entscheidest.«
    Ich fürchte, dass ich im Laden für Künstlerbedarf furchtbar unsicher sein werde, weshalb ich rasch antworte: »Etwas zum Anziehen. Ich hole nur schnell meine Jacke.«
    Das wird das letzte Mal sein, dass Mrs. Morgan Zeit mit ihrer Tochter verbringt, weshalb jede Sekunde zählt.

Kapitel 26
    W ir fahren nach Berkeley zur Fourth Street und schlendern zwischen den Läden und gut betuchten Kauflustigen umher. Die Luft ist frisch und salzig vom nahe gelegenen Hafen. Es heißt, in Kalifornien gebe es keine Jahreszeiten, aber das stimmt gar nicht. Die Jahreszeiten hier sind bloß weniger stark ausgeprägt. Der Winkel, in dem die Sonne am Himmel steht, der trockene Wind, das Knistern der Blätter – die kleinen Veränderungen verraten mir viel.
    Vor einem Laden bleibe ich stehen, angelockt von der Schaufensterdekoration. Die Puppen tragen ganz normale Kleidung, doch ihre Umgebung sieht aus wie aus dem Märchen: ein glitzernder Wald, der vor Farben nur so strotzt, dazwischen kleine Lichter, die in den künstlichen Zweigen schimmern. Bei näherer Betrachtung merke ich, dass den Kleiderpuppen Zweige aus den langen Haaren wachsen, um die sich Blumen ranken.
    Ich weiß, dass Kailey begeistert gewesen wäre von dieser Kreuzung aus Realität und Magie.
    »Willst du reingehen?«, fragt Mrs. Morgan mit wissendem Lächeln.
    Ich nicke.
    Der Laden ist sanft erleuchtet, ein buntes Kaleidoskop weicher Stoffe und Muster, Kerzen und Ketten mit Anhängern, Spitzenkleidern und Oxford-Schuhen.
    Eine zitronengelbe Tunika zieht mich magisch an, doch Mrs. Morgan schüttelt den Kopf. »Hübsch, aber die Farbe steht dir nicht.«
    Ich werfe einen Blick auf meine Arme und lache. Sie hat recht. Die Tunika hätte wahrscheinlich gut zur olivfarbenen Haut meines letzten Körpers gepasst, aber ich habe nicht Kaileys Auge für Farben.
    Mrs. Morgan nimmt ein altrosa Kleid vom Ständer und hält es mir

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