Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
spannend sein kann.«
»Er sollte sich an das normale Lehrbuch halten. Darüber werden wir schließlich geprüft.« Mein Magen krampft sich erneut zusammen, und ich spüre Kopfschmerzen heraufziehen. Ich hasse das. Ich hasse, dass Cyrus versucht, seine Klauen in Noah zu schlagen. Und ich hasse es, dass wir deshalb streiten. Was will er nur mit ihm?
»Was ist denn heute mit dir los? Beschäftigt dich etwas?« Noah legt mir die Hand auf die Schulter, und am liebsten hätte ich ihm alles anvertraut.
Die Vorstellung ist so verlockend – einen Verbündeten zu haben, jemanden, der die Wahrheit kennt. Ihm meinen richtigen Namen zu sagen: Seraphina.
Was dann?, frage ich mich. Willst du ihn bitten, mit dir wegzulaufen? Was passiert, wenn er älter wird und dieser Körper dich im Stich zu lassen beginnt? Ich habe mir geschworen, nie wieder zu töten – dieser hier soll mein letzter Körper sein.
Ich schlucke und unterdrücke den Wunsch, Noah die Wahrheit zu erzählen. Diese Tür kann ich nicht öffnen. »Ich traue Mr. Shaw nicht«, sage ich daher vorsichtig und versuche, Noah meinen Eindruck begreiflich zu machen. »Woher kommt er überhaupt? Wo ist unser richtiger Lehrer? Wann kommt er zurück?« Die Geschichte von Mr. Roberts’ Sabbatical erwähne ich nicht.
Noah seufzt. »Ehrlich, ich wünschte, Mr. Shaw wäre unser richtiger Lehrer. Er bringt uns dazu zu denken.«
»Er ist ziemlich … charismatisch«, stimme ich zu. »Aber das sind viele Soziopathen.«
Noah lacht, warm und tief. Wider besseres Wissen lächele ich. Ich weiß, dass ich paranoid klinge. Ein schrecklicher Gedanke durchzuckt mich. »Du hast ihm doch hoffentlich nichts von dem Autounfall erzählt, oder?«
»Natürlich nicht.« Er wirkt verwirrt, aber auch verletzt. »Ich habe dir doch versprochen, nichts zu sagen. Warum sollte ich überhaupt?«
»Entschuldige. Dieser Mann hat irgendetwas an sich, das ich nicht mag.«
»Bitte erinnere mich daran, es mir nie mit dir zu verderben«, erwidert Noah. »Oh, und Kailey?«
»Ja?«
»Um es mit den unsterblichen Worten der Kinks zu sagen: Paranoia wird dich zerstören.«
Da muss ich lachen. »Ich glaube nicht, dass der Song so lautet. Aber ich verstehe, was du mir sagen willst.«
Den Rest der Mittagspause reden wir über andere Dinge: Noahs Eltern, die Möglichkeiten an der Kunstakademie, wo wir für ein richtiges Date hingehen könnten. Aber eigentlich bin ich mit den Gedanken ganz woanders. Ein Schatten hängt über meinem Verstand. Cyrus kann mich auf mehr als eine Art verletzen, muss ich erkennen. Dadurch, dass es nun Menschen gibt, die mir etwas bedeuten, habe ich mich verwundbar gemacht.
Ich lehne mich gegen die Eiche. Sie ist so stark, so beständig. Wahrscheinlich ist sie Hunderte von Jahren alt, wie ich. Dennoch könnte man sie in ein paar Minuten umsägen. Ich habe das Gefühl, egal in welche Richtung ich mich drehe, Cyrus ist schon da und erwartet meinen nächsten Zug. Ein Spiel, das ich nicht verlieren darf.
Kapitel 29
A m nächsten Nachmittag bekomme ich eine SMS von Leyla:
art murmur heute abend? ich kann dich abholen.
Ich weiß nicht genau, was dieses »Kunstgemurmel« bedeuten soll, doch Google sagt mir, dass dieser Kunstevent so etwas wie ein »Tag der offenen Galerien« in der Innenstadt von Oakland ist. Ich schreibe Noah, und er antwortet sofort, dass er gern mitkommen würde. Aus einem Impuls heraus schaue ich noch kurz bei Bryan vorbei.
»Ich gehe heute Abend zum Art Murmur. Willst du mitkommen?«
Er stöhnt. »Uff, Kunst und Hipster. Ich glaube nicht.«
»Bist du dir sicher? Leyla holt mich in zehn Minuten ab.«
»Oh? Leyla … fährt? Okay, äh … warum nicht.« Er kramt ein Paar Chucks aus dem Schuhhaufen, und ich gebe mir keine Mühe, mein selbstzufriedenes Grinsen zu verbergen.
Leyla scheint ihr alter Honda peinlich zu sein, als sie bei uns eintrifft. »Meine Eltern haben ihn mir geschenkt«, erklärt sie Bryan, als er sich auf den Beifahrersitz setzt. »Sie haben gesagt, so ein Wagen hält ewig.«
»Verlässlich ist immer gut«, antwortet Bryan und richtet den Kragen seiner Football-Jacke, als er sich anschnallt. »Eine unspektakuläre Fahrt mit einem starken Motor ist mir lieber als ein cooles Auto, das am Straßenrand liegenbleibt.«
Noah und ich brechen auf dem Rücksitz in Gelächter aus.
»Was ist so lustig?«, fragt Leyla.
»Nichts«, antworte ich. »Bryan und sein starker Motor haben recht.«
Wir parken auf der Twenty-fifth Street und gehen
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