Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
ich also mit meinen Schularbeiten beschäftigt bin, erbieten sich Jude und Ava, ihren Anteil zu übernehmen, indem sie Romans alte Tagebücher durchforsten, um möglichst alle der in sämtliche Himmelsrichtungen verstreuten Waisen aufzutreiben – die Waisen, die Damen verwandelt hat, ebenso wie die, die Roman im Lauf der Jahre für würdig befunden hat, unsterblich zu werden. Während Romy und Rayne mit geballten Zwillingskräften handgemachte Partyeinladungen basteln und sie so ziemlich in alle Ecken des Globus versenden, kümmert sich Sabine um meine
College-Bewerbungen, die allerdings so spät dran sind, dass ich wahrscheinlich gezwungen sein werde, ein Sabbatjahr einzulegen. Das wäre wahrscheinlich auch das Beste, da ich schon ewig keine normale Zukunft mehr für mich in Erwägung gezogen habe und überhaupt nicht mehr weiß, was da alles dazugehört.
Ganz zu schweigen davon, dass ich stets davon ausgegangen bin, Damen an meiner Seite zu haben, wohin es mich auch verschlägt.
Ich bin stets davon ausgegangen, dass wir zusammen losziehen würden, nur wir zwei.
Ich hätte nie gedacht, dass ich am Ende allein dastehen würde.
Aber da ich ihn seit dem Tag nicht mehr gesehen habe, an dem ich ihn am Tor habe stehen lassen, muss ich mir eingestehen, dass es durchaus möglich ist. Er macht einen Bogen um die Schule. Er macht einen Bogen um mich. Und obwohl ich ihm den Freiraum zugestehe, den er seiner Meinung nach braucht, hoffe ich, dass er sich am Ende an meine Seite stellen wird.
Obwohl alle Anzeichen dagegen sprechen, hoffe ich doch, dass er letztlich die richtige Wahl treffen wird.
Falls nicht, weiß ich nicht, was ich tue. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum mir die Unmenge von Schularbeiten ganz gelegen kommt – sie lenken mich von der schrecklichen, unvermeidlichen Tatsache ab, dass ich, wenn sich Damen gegen die Frucht entscheidet, eine unerträgliche Wahl treffen muss. Ich muss wählen zwischen dem falschen Leben als Unsterbliche – wobei das Universum bei jeder Gelegenheit versuchen wird, uns voneinander zu trennen – und einem Leben ohne Damen, was zu grauenvoll ist, um überhaupt daran zu denken.
Und so gönne ich mir neben der ganzen Büffelei und den zahllosen Klausuren und Essays, die ich schreiben muss, eine kleine Auszeit für einen Besuch im Sommerland.
Zum einen, weil ich unbedingt Lotos treffen will, damit ich ihr sagen kann, was ich alles geschafft habe, und zum anderen, weil ich – na ja – unbedingt ins Sommerland will, solange es noch geht, solange es nur ein einfacher Schritt ist, bei dem ich mir bloß den schimmernden goldenen Schleier vorzustellen und hindurchzutreten brauche, um auf die andere Seite zu gelangen. Also, auch wenn ich viele Sterbliche kenne, die dorthin gelangen können, weiß ich ja nicht, ob ich es noch kann, wenn ich erst einmal wieder sterblich bin, und deshalb will ich es genießen, solange es noch geht.
Nachdem ich ein paar wunderbare Momente auf dem weiten, duftenden Feld verbracht habe, auf dem ich stets ankomme, nach einem Besuch in den Großen Hallen des Wissens, wo ich vor der stets im Wandel begriffenen Fassade stehe und erneut Freudenschauer darüber verspüre, hineingelassen zu werden, nachdem ich alle von meinen und Damens Lieblingsplätzen aufgesucht habe – den Nachbau von Versailles, den er einst speziell für mich manifestiert hat, das von Tulpen übersäte Feld um den Pavillon herum, den er mir zu meinem siebzehnten Geburtstag gebaut hat –, nachdem ich noch einmal die Stelle aufgesucht habe, wo das Gras einst in Matsch überging und die Bäume alle kahl waren – den früheren Eingang zum Schattenland –, nachdem ich den herrlichen Teich aufgesucht habe, auf dem nach wie vor Hunderte der prächtigsten Lotosblumen blühen, als ich nach alledem Lotos noch immer nicht gefunden habe, beschließe ich, eine von Romys und Raynes selbst gemachten Partyeinladungen im pink-schwarzen Umschlag unter einen
großen Felsen zu legen, gegen den sie sich einst lehnte, und hoffe, dass sie den Brief findet.
Dann kehre ich auf die Erdebene zurück, vergrabe mich in den Lernstoff und warte.
Warte darauf, von Lotos zu hören.
Warte darauf, dass die Antworten all der anderen Unsterblichen eingetrudelt kommen.
Warte darauf, von Misa, Marco und Rafe zu hören.
Warte, dass ich erfahre, ob ich meinen Schulabschluss machen darf.
Warte darauf, dass mir klar wird, welche Richtung meine Zukunft nehmen soll.
Die Tage verstreichen, und gelegentlich gibt
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