Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
zustreben, während Damen und ich wie angewurzelt stehen bleiben. So dringend ich auch in meine Klasse gehen und anfangen muss, den ganzen Schaden zu beheben, den meine lange Abwesenheit angerichtet hat, müssen wir zuerst das hier zu Ende bringen. Wir müssen zu einem Schluss kommen, bevor ich irgendwohin gehen und etwas anderes tun kann.
»Aber ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass dieses Leben kosmisch gesehen falsch ist. Und selbst wenn wir das Gegengift nehmen, wird irgendwas anderes auftauchen, das uns voneinander trennt. Der einzig wahre Weg, unserer Bestimmung zu folgen – für immer zusammen zu sein –, ist, unsere Unsterblichkeit rückgängig zu machen. Die Frucht zu essen.« Ich schaue auf unsere Füße herunter, betrachte den dunkel glänzenden Lack seines Wagens, spähe zu dem in Bälde verschlossenen Tor hinüber und höre die Glocke zum letzten Mal läuten, ehe ich ihm wieder in die Augen sehe. »Damen, ich habe die Mittel, das jetzt zu tun. Ich habe den Baum gefunden. Es gibt ihn wirklich.«
Er reagiert nicht, bewegt sich nicht und verzieht keine Miene.
»Ich war dort. Habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Ich bin seinen gigantischen Stamm hinaufgeklettert, habe mich an seinen kilometerlangen Ästen entlanggehangelt …« Ich halte inne, da ich sicher sein will, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben, ehe ich fortfahre, »und ich habe seine Frucht gepflückt.«
Ich sehe ihn weiterhin unverwandt an, aber nichts passiert. Nichts deutet daraufhin, dass er mich verstanden hat.
»Deshalb war ich ja so lange weg. Es war eine lange, mühsame, gefährliche, einsame und doch absolut wundervolle Reise. Ich musste einen Ansturm von Jahreszeiten durchstehen, um dorthin zu gelangen, einen Winter überleben, der so unbarmherzig war, dass ich mir sicher war, als Eisklotz zu enden, ich wurde von Regen dermaßen durchnässt, dass ich mir sicher war, nie wieder zu trocknen, und doch, obwohl ich wirklich manchmal daran gezweifelt habe, ob ich ans Ziel kommen würde, habe ich es geschafft. Ich habe geschafft, was ich mir vorgenommen hatte. Und jetzt bin ich hier und kann dir sagen, dass der Baum kein Mythos ist, wie du meinst. In Wirklichkeit ist er sogar besser als sein Mythos. Weißt du noch, wie Lotos gesagt hat, der Baum sei immertragend? Sie hatte Recht. Der Baum trägt und trägt und trägt. Das Gerücht von wegen Eine-Frucht-alle-tausend-Jahre ist der reine Humbug. Soweit ich es miterlebt habe, gibt es keinerlei Knappheit. Nur Überfluss. Der Baum des Lebens ist geradezu der Inbegriff von Überfluss. Und ich habe ein ganzes Bündel Früchte mitgebracht, mit denen ich es beweisen kann.«
»Du hast welche mitgebracht?« Sein Gesicht nimmt einen Ausdruck an, der unergründlich ist. »Warum denn das? Warum hast du sie nicht einfach Lotos gegeben und ihr alles Weitere überlassen?«
»Weil ich Romans Aufgabe übernehme«, sage ich und nicke, um es mir selbst zu bestätigen. Und jetzt, da ich es gesagt habe, beginnt sich in meinem Kopf ein kompletter Plan herauszubilden.
Doch Damen sieht mich nur verständnislos an.
»Die Party, die er alle anderthalb Jahrhunderte gibt?« Ich
unterdrücke ein Grinsen, aber ich kann meine zunehmende Begeisterung nicht unterdrücken. »Diesmal werde ich die Gastgeberin sein. Ich lade sämtliche Unsterblichen ein, die er verwandelt hat, und gebe ihnen die Wahl zwischen körperlicher Unsterblichkeit – oder wahrer Unsterblichkeit.«
»Und wenn sie ablehnen?«, fragt er, offensichtlich davon überzeugt, dass sie das tun werden, da er es für sich schon mehr oder weniger getan hat.
»Dann lehnen sie eben ab.« Ich zucke die Achseln. »Aber wenn ich es ihnen erkläre und sie die Folgen begriffen haben, glaube ich nicht, dass sie das tun werden.«
Damen reißt die Augen auf, und sein Teint wird leichenfahl, und ich brauche einen Moment, um zu begreifen, warum. Er hat meine Worte missverstanden. Er denkt, ich hätte bereits von der Frucht gegessen.
»Hast du …?«, fragt er, doch ich beschwichtige ihn rasch.
»Nein.« Ich schüttele den Kopf und fixiere ihn mit meinem Blick. »Ich wollte auf dich warten. Ich will, dass wir unsere Unsterblichkeit gemeinsam rückgängig machen. Ich weiß nicht, was ich tun werde, wenn du das ablehnst – ob ich dann dieses Leben mit dir oder ein Leben als Sterbliche allein wählen werde –, ich weiß es wirklich nicht. Aber ich hoffe ehrlich, dass du mich nicht zu einer Entscheidung zwingst. Ich hoffe, du denkst darüber nach und
Weitere Kostenlose Bücher